„Ich gehe da nicht raus, Esteban. Nicht so lange, wie er dort steht.", brachte er gepresst über die Lippen und schloss hektisch die Vorhänge in seinem Fahrerraum. Das der Alpine-Fahrer die Augen verdrehte konnte er spüren, obwohl er mit dem Rücken zu dem Franzosen stand. Er wusste ganz genau, dass sein Verhalten unglaublich unreif und nahezu kindisch war, doch er konnte nicht anders. Wenn er den Niederländer auch nur sehen würde, würde es wieder von vorne beginnen. Er musste nicht einmal mit Max sprechen um zu wissen, dass die Narben auf seinem Herzen wieder aufreißen würden und der Schmerz zurück käme. Oscar wollte diesen Schmerz nicht wieder spüren, er wollte endlich wieder glücklich sein und in die Zukunft blicken. Wenn er ehrlich war, wusste er ganz genau, dass er mit diesem Schmerz noch nicht vollständig abgeschlossen hatte, ebenso wenig wie mit der gemeinsamen Vergangenheit, die er mit dem charmanten Niederländer geteilt hatte. „Oscar, du benimmst dich schlimmer als ein Kleinkind, welches ins Bett soll aber nicht möchte, weil es die Sendung noch nicht zu Ende geschaut hat.", sprach Esteban genau das aus, was er auch schon wusste.
Endlich wandte er sich dem Franzosen zu und blickte ihm in die Augen. „Du verstehst es nicht, Esteban. Du würdest es auch nicht verstehen, selbst wenn ich versuchen würde es dir zu erklären.", flüsterte er und senkte seinen Kopf, er konnte den Augenkontakt nicht weiter halten. Augen waren das Fenster zur Seele und das Fenster zu seiner Seele stand weit offen. Es war nicht so, als würde er sich dafür schämen, doch manchmal war es ihm aus unerklärlichen Gründen unangenehm seine Emotionen zu zeigen. „Ist es so schlimm?", fragte Esteban nach, in seiner Stimme spürte man den deutlichen Umschwung. Mit einmal klang sie weich und verständnisvoll, nicht mehr hart und genervt. Oscar seufzte und setzte sich auf das kleine Sofa, welches steinhart war. „An sich ist es nicht so schlimm, aber ich habe noch nicht ganz damit abgeschlossen. Esteban, wenn ich jetzt dort raus gehe und ihn sehe, dann weiß ich nicht, was passieren wird.", erwiederte er und wusste, wie dramatisch es sich für den Franzosen anhören musste. „Ich werde dich zu nichts zwingen, Oscar. Aber wenn du nicht darüber redest, wird es dich eines Tages innerlich zerfressen. Wenn du schon nicht reden möchtest, schreib es doch auf.", gab ihm der Alpine-Pilot einen Ratschlag, über den er den Rest des verbleibenden Tages nachdachte.
Oscar saß spät abends alleine in seinem abgedunkelten, spärlich möbilierten Hotelzimmer in Baku. Er hatte mitbekommen wie sich kleine Gruppen gebildet hatten, um die Stadt zu erkunden, doch er hatte sich mit der Ausrede, dass er sich nicht gut fühlen würde, in sein Zimmer zurück gezogen. Sein Blick war unweigerlich zu Max geglitten, beinahe glaubte er Sorge in den himmlisch blauen Augen des Niederländers gesehen zu haben, doch diesen Gedanken verwarf er noch auf dem Weg zurück zu seinem Zimmer. Warum sollte Max sich Sorgen um ihn machen, wenn sie sich nichts mehr zu sagen hatten? Aus einer rationalen Sichtweise betrachtet machte dies keinen Sinn, doch konnte er nicht verhindern, dass sein Herz höher schlug. Er hatte versucht zu schlafen, doch Esteban's Worte waren zu präsent und so kam es, dass er nun an dem schmalen Schreibtisch mit einem Papier und Stift saß. Er setzte den Stift an, zögerte und richtete sich wieder auf. War es albern, was er gerade tun wollte? War es wirklich soweit gekommen, dass er genau dies nun tat? Oscar schüttelte den Kopf und setzte den Stift erneut an und schaltete seinen Kopf aus. Ab dort ließ er sich von den Worten gleiten, die ihm in den Kopf schossen und dachte nicht weiter nach.
„Der Schmerz, den ich spüre, wenn ich ihn sehe oder auch nur seinen Namen höre, ist so unerträglich stark, dass ich manchmal dazu verleitet bin einfach aufzugeben, damit ich ihn nicht mehr ertragen muss. Ein Blick in seine wunderschönen Augen und die Erinnerungen an unsere Zeit kommen zurück. Doch nicht stückweise, sie überrollten mich und trafen mich unvorbereitet." Oscar blickte auf das Papier und ein kleines Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Es fühlte sich so befreiend an einfach alles aufzuschreiben, ohne darüber nachdenken zu müssen, welche Worte er wählen sollte. Diese Worte kamen aus tiefstem Herzen, ehrlich würden sie nie werden.
„Ich erinnere mich an den Tag, an dem ich ihm zum ersten Mal traf. Meine Kinnlade klappte herunter und ich war der festen Überzeugung, dass ich den schönsten Menschen der Welt kennengelernt hatte. Es war primär nicht sein äußeres Erscheinungsbild, welches mich anzog - es war sein Charakter. Seine Worte zogen mich in seinen Bann, sein Charakter schien aus Gold zu sein. Mit jedem weiteren Wort, mit jedem weiteren Treffen fiel ich immer mehr für ihn, auch wenn ich es nicht beabsichtigt hatte. Kein Mensch hatte es seit einer langen Zeit geschafft, dass ich mich so losgelöst und befreit fühlte. In seiner Nähe konnte ich mich gut fühlen, ich konnte lachen und glücklich sein. Ich verliebte mich in sein Lachen, in die Vibration, die dieses zur Folge hatte. Seine Augen zogen mich magisch an, noch nie hatte ich so schöne Augen gesehen. Ich glaubte nicht daran, dass er in mir und ihm mehr sehen könnte, bis ich eines Tages eines besseren belehrt wurde." Oscar musste einmal kräftig schlucken, um die Tränen zurückzuhalten.
„Ich fühle noch immer das Kribbeln in meiner Hand, als er diese zum ersten Mal ergriffen hatte. Das Lächeln schien nicht mehr aus meinem Gesicht verschwinden zu wollen. Seine Hand passte perfekter zu meiner, es fühlte sich vollkommen an. An manchen Tagen saßen wir manchmal nur schweigend nebeneinander und beobachteten die Umgebung um uns herum, während wir Händchen hielten und lächelten. Wir mussten nicht immer etwas sagen, manchmal war die Stille zwischen uns viel kostbarer. Doch aus dieser Kostbarkeit wurde kontinuierlich ein Albtraum, wenn wir uns nichts mehr zu sagen hatten. Ich glaube nicht, - und ich weigere mich etwas anderes zu akzeptieren - dass wir aufhörten uns zu lieben. Es lag außerhalb meiner Möglichkeiten meine Liebe für ihn aufzugeben, sie würde für immer bestehen bleiben." Freudlos lachte Oscar auf. Er war hoffnungslos verloren, er würde sich nie wieder zurück bekommen. Er hatte sein Herz und einen großen Teil seiner Selbst Max geschenkt, dieser war gegangen und hatte alles mit sich genommen. Um vollständig zu sein fehlte ihm ein großer Bestandteil, den er nie wieder zurück bekommen würde.
„Der Tag, an dem er ging, brach mir mein Herz. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich zuletzt so sehr gelitten habe, wie seit diesem Tag. Vor mir stand nicht mehr der Max, in den ich mich verliebt habe. Dieser Max wirkte kalt und emotionslos, seine Augen strahlten keine Liebe und Wärme mehr aus. Diesem Max war ich egal und dieser Max hatte meinen Max ersetzt. Ich wusste nicht wann und wieso es passiert war, doch hatte sich der Mann meiner Träume vollkommen gewandelt. Ich brachte nicht einmal die Kraft auf um ihn anzubetteln, um ihn anzuflehen nicht zu gehen. Stattdessen ließ ich ihn gehen. Völlig regungslos stand ich in der Tür, blickte dem wertvollsten Menschen meines Lebens hinterher und weinte nicht einmal. Die Tränen folgten in den kommenden Tagen, danach rissen sie nicht mehr ab." Es bildeten sich neue Tränen in seinen Augen, während er daran dachte und eine Träne tropfte auf das Blatt. Sofort verzog sich diese Stelle und verfärbte sich dunkler.
Ein Klopfen an der Tür ließ ihn erschrocken zusammen fahren, sein Blick glitt zur Uhr und er stellte fest, dass es bereits ein Uhr nachts war. Umso verwunderter war er, wer zu dieser späten Stunde etwas von ihm wollte. Er wischte sich die Tränen aus den Augen und öffnete die Tür einen spaltbreit. Überrascht riss er seine Augen auf, dabei öffnete er die Tür ein kleines bisschen mehr. „Max.", stotterte er und blickte seinen Ex-Freund an, welcher den Eindruck erweckte, als ob er Alkohol getrunken hätte. „Hast du getrunken, Max? Komm erstmal rein, dass muss nicht jeder mitbekommen.", sagte er bestimmt und umfasste den Arm des Niederländers. Dieser ließ es über sich ergehen und folgte ihm in das Zimmer. „Was machst du hier, Max? Warum hast du getrunken?", kam ihm über die Lippen und er spürte, wie nervös er war.
„Dich zu vermissen ist das Härteste, mit dem ich jeden Tag klarkommen muss.", erwiederte Max, legte sich mit dem Rücken auf das Hotelbett und schlief ein. Oscar hingegen konnte nicht mehr an Schlaf denken, sein Herz schlug doppelt so schnell und alles in ihm kribbelte vor Aufregung.
Ende
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𝑺𝒉𝒐𝒓𝒕 𝑺𝒕𝒐𝒓𝒊𝒆𝒔
RomanceVolle Power, nervenzerreißende Action und echte Gefühle: Diese Kurzgeschichten nehmen dich mit auf die wilde Fahrt durch die Welt der Formel 1 - und erzählen dabei von überwiegend homosexuellen Paaren, die nicht nur auf, sondern auch neben der Strec...