92. Lando Norris x George Russell

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Lando schloss die Tür hinter sich und zog sich die Schuhe aus, welche er sorgsam geordnet zu den anderen Schuhen im Flur stellte. Anschließend ließ er seinen Rucksack auf den Boden fallen, um seine Jacke an die Garderobe zu hängen. „Wie war die Schule?", fragte seine Mutter, welche im Wohnzimmer auf dem Sofa saß. „So wie immer.", erwiderte er knapp und ließ sich neben sie fallen. Seine Mutter lächelte schief. Sie wusste ganz genau, was er damit ausdrücken wollte. „Hast du George gesehen?", hakte sie konkreter nach. Bei der Erwähnung dessen Namen machte Landos Herz einen Hüpfer und er musste sich sein Lächeln verkneifen. „Natürlich. Wir sind in der gleichen Klasse.", antwortete er, als ob er nicht wüsste, worauf sie damit anspielen wollte. Seine Mutter knuffte ihm in die Seite, woraufhin er lachen musste. „Glaubst du nicht, dass es allmählich an der Zeit ist mit ihm darüber zu reden?" Sofort wurde seine Miene wieder ernst. „Es macht doch keinen Unterschied. In zwei Wochen ziehen wir um.", erwiderte er ruppig und verschränkte die Arme vor der Brust. Als seine Eltern ihm diese Nachrichten vor ein paar Monaten überbracht hatten, war seine Welt zusammengebrochen. Er hatte alle Phasen der Trauer durchlaufen, bevor er es akzeptiert hatte. George hatte er erst vor wenigen Wochen davon berichtet. Ihm hatte es davor gegraut, wie sein bester Freund auf diese Nachricht reagieren würde, weswegen er dies so weit wie ihm nur möglich nach hinten verschoben hatte. Mit gesenktem Blick und brüchiger Stimme hatte er es ihm schließlich gebeichtet, woraufhin George an der Wand hinter ihm auf den Boden glitt. „Ihr werdet umziehen?", fragte er ungläubig. „Wohin? In eine andere Stadt?" Lando brach bei dieser Frage das Herz in unzählige Stücke. „Nein, in ein anderes Land.", antwortete er und schaute George zum ersten Mal in die Augen. Diese schimmerten, als würde sein bester Freund jeden Moment in Tränen ausbrechen.

„Liebe kennt keine Grenzen, Lando. Wenn George dich auch nur ansatzweise so sehr liebt wie du ihn, dann werdet ihr es auch schaffen eure Liebe über die Distanz zu meistern.", riss seine Mutter ihn aus seinen Gedanken an diesen einen verhängnisvollen Tag. Lando hatte das Gefühl, als würde sein bester Freund bereits jetzt Distanz zwischen sie schaffen, was er schweigend verfolgte. „Ich glaube, ich habe ihn verloren.", flüsterte er aus Angst, dass seine Stimme brechen würde. „Wie kommst du denn auf die Idee?", fragte ihn seine Mutter und kraulte seinen Kopf. Als Kind hatte er dies geliebt und hätte stundenlang dieses Gefühl genießen können. „Seitdem ich es ihm gesagt habe, distanziert er sich von mir. Er verbringt die Pausen kaum noch mit mir und auch bei Partnerarbeiten bin ich nicht mehr seine erste Wahl. Wir gehen nicht mehr zusammen zur Schule oder nach Hause. Wann war er das letzte Mal hier? Das war weit bevor er wusste, dass wir bald umziehen. Sein ganzes Verhalten mir gegenüber hat sich gewandelt. Ich erkenne ihn nicht mehr wieder. Das Schlimmste daran ist, dass ich es ihm nicht einmal zum Vorwurf machen kann. Ich wüsste selbst nicht, wie ich darauf reagieren würde, wenn er es mir gesagt hätte. Ich hatte Angst, dass ich ihn aufgrund der Distanz verlieren würde. Jetzt glaube ich, dass es schon vorher geschieht." Lando redete sich in Kopf und Kragen, doch musste er die Last auf seiner Seele loswerden. Er hatte Angst, dass er andernfalls daran ersticken würde. „Ich wünschte, es würde mich nicht so sehr treffen. Aber das tut es. Mein Herz bricht jeden Tag mehr, trotzdem schlägt dieses blöde Ding in meiner Brust noch immer für ihn. Ich glaube, daran wird sich auch nie etwas ändern."

Die letzten Wochen bis zum Umzug förderten keine Veränderung in dem Verhalten von George zustande, die Lando sich wünschte. Anstatt wieder die Nähe zu suchen, distanzierte sich sein bester Freund zunehmend von ihm. Diese Tatsache traf Lando, doch versuchte er dies zu überspielen. Immer mehr freute er sich auf den Tag, wo sie das Land verlassen würden und er seinen Kindheitsfreund nicht mehr sehen müsste. Auch wenn ihn der Gedanke schmerzte, traf ihn das Verhalten noch schlimmer. Er half, wo er nur konnte, und packte übereifrig seine Sachen in die großen Umzugskartons. Zuvor sortierte er diese aus, wobei ihn die Erinnerungen an George überkamen. „Das brauche ich nicht mehr.", sagte er mehr zu sich selbst, als er sämtliche Erinnerungsstücke aussortierte. Am letzten Tag vor dem Umzug lag er in seinem fast leeren Zimmer auf einer Matratze und starrte an die nackten Wände. Die Vorstellung in einem anderen Land zu leben, wurde mit einem Mal real, was ein leichtes Kribbeln in ihm verursachte. Er freute sich auf die neue Herausforderung, die auf ihn zukommen würde. Voller Vorfreude schloss er die Augen und sank in einen tiefen Schlaf. Am nächsten Morgen zog er sich um, verstaute die letzten Sachen in seinem Koffer und setzte sich zu seinen Eltern. Die meisten Möbel wurden bereits abgeholt, unter anderem auch der Esszimmertisch. Aus diesem Grund saßen sie in einem Kreis auf dem Boden und genossen das Gebäck, welches sein Vater frisch beim Bäcker am morgen besorgt hatte. Anschließend warfen sie einen letzten kontrollierenden Blick in die Zimmer und sammelten die letzten Dinge ein, bevor sie mit dem Taxi zum Flughafen fuhren. Nachdenklich schaute Lando aus dem Fenster, während die bekannte Landschaft an ihm vorbeizog. Seine Mutter legte ihm liebevoll eine Hand auf den Oberschenkel, woraufhin er diese umschloss und ihr ein ehrliches Lächeln schenkte.

Schweren Herzens betrat er den überfüllten Flughafen, wo Menschen wie Ameisen hektisch durch die Gegend liefen. Geschäftsmänner sprachen in ihre Handys, Eltern versuchten ihre Kinder beieinander zu halten, junge Menschen hörten gebannt ihrer Musik zu – das ganz normale Leben, welches er kannte. Seine Eltern und er suchten sich einen Weg durch die Menschenmassen zu der Gepäckabfertigung, um ihre Koffer abzugeben. Kaum, dass sie diese erreicht hatten, hörte er, wie jemand seinen Namen rief. „Lando!" Als er sich umdrehte, entdeckte er dort George, welcher ziemlich mitgenommen wirkte. Er ließ seinen Koffer stehen und kam seinem Kindheitsfreund entgegen. „Ich konnte dich nicht gehen lassen, ohne mich von dir zu verabschieden. Ich weiß, dass ich in den letzten Wochen ein miserabler Freund für dich war. Mir fiel es schwer mit dem Wissen klarzukommen, dass du irgendwann einfach weg sein würdest. Vielleicht war es ein Schutzreflex, vielleicht auch pure Dummheit, dass ich dich so von mir gewiesen habe." Georges Atem war schwer, als ob ihn diese Worte viel Kraft kosteten. „Ich kann mir keine Welt vorstellen, in der du nicht bei mir bist, Lando. Du bist der wertvollste Mensch für mich, den ich nie verlieren möchte." Lando wusste nicht, was ihn dazu bewegte, doch trat er einen Schritt nach vorne und legte seine Hände an die Wangen von George, ehe er ihre Lippen zu einem unschuldigen Kuss miteinander verband. Um sie herum fingen Menschen an zu klatschen, woraufhin sie sich peinlich berührt voneinander distanzierten. „Ich mag diese Idee von dir und mir. Weißt du, wir, zusammen. Zwei verlorene Seelen, die sich endlich finden in den Zeilen einer Geschichte, die nur wir vollumfänglich verstehen.", sagte Lando, woraufhin George lächelte. „Ich werde dich nie vergessen, George.", flüsterte er, als sie sich umarmten. „Ich werde dich auch nie vergessen, Lando.", erwiderte er. Ein letztes Mal fanden ihre Lippen zueinander, ehe sie sich unter Tränen voneinander lösten. „Ich kann mich nicht verabschieden.", schluchzte Lando, woraufhin George sein Gesicht mit seinen Händen umschloss. „Versuch es damit: Einer von uns geht zum Ausgang, aber dreht sich nicht um. Selbst wenn das Herz schmerzt für nur noch einen Blick, einen Moment. Aber du weißt, dass du nicht schauen wirst." George drückte seine Lippen an seine Stirn, bevor die warmen Hände aus seinem Gesicht verschwanden. Ohne einen weiteren Blick wandte sich sein bester Freund von ihm ab, ehe er einen Schritt nach vorne machte und in Richtung des Ausgangs verschwand.

𝑺𝒉𝒐𝒓𝒕 𝑺𝒕𝒐𝒓𝒊𝒆𝒔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt