Kapitel 36

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Hallo Severus,

Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob du dich über diesen Brief überhaupt freuen wirst, hoffe es aber. Du fehlst mir. 

Leider musste ich feststellen, dass sich hier im letzten Jahr einiges verändert hat. Meine Rückkehr ins Ministerium lief nicht so, wie erhofft. Ich würde mich freuen, wenn ich dir vielleicht bei einem Glas Wein alles erzählen könnte. Es gibt Neuigkeiten, die ich dich wissen lassen möchte. 

Lysanna

Nach ungefähr fünf erfolglosen Anläufen hatte Lysanna nun endlich ein paar Zeilen verfasst, mit denen sie zufrieden war. Sie hatte sich die große braune Eule ihres Vermieters ausgeliehen, um den Brief nach Hogwarts zu schicken. Einen Moment lang hatte Lysanna noch über die passende Verabschiedung nachgedacht, aber nachdem ihr "In Liebe" zu kitschig, "Liebe Grüße" mehr als unpassend und "Bis bald" etwas zu fordernd vorgekommen waren, hatte sie den Brief einfach nur mit ihrem Namen unterzeichnet. 

Auf dem Umschlag stand neben ihrer eigenen Adresse nun auch die Adresse des Empfängers

Professor Severus Snape
Hogwarts 
Schule für Hexerei und Zauberei

Lysanna wusste wirklich nicht, wie er auf diesen Brief reagieren würde, aber insgeheim hoffte sie natürlich, dass er sich darüber freuen würde von ihr zu hören. Er fehlte ihr sehr und je konkreter Lysannas Entschluss wurde, umso mehr ließ sie die Gefühle für ihn wieder in den Vordergrund. Es schien ihr nur mehr als angemessen, zunächst mit Severus darüber zu sprechen, dass sie tatsächlich beabsichtigte bereits für das nächste Schuljahr nach Hogwarts zurückkehren, bevor sie Dumbledore darüber informierte. Sie wollte verhindern, dass Severus es von ihm erfahren würde. 

Ungeduldig wartete die Eule am Fenster, bis Lysanna ihr den Brief in den Schnabel steckte und das Fenster öffnete. Mit einigen lautlosen aber kräftigen Flügelschlägen verschwand das Tier in die abendliche Dunkelheit. Jetzt hieß es abwarten. Bis zum Beginn des neuen Schuljahres waren es noch ziemlich genau drei Wochen, drei Wochen in denen Lysanna noch einiges zu erledigen hatte. 

-

Der Regen prasselte unablässig gegen die vom Ruß vergilbten Fensterscheiben, das schwache Licht der Straßenlaternen drang herein und erzeugte in der Kombination mit den zahllosen Wassertropfen seltsame Schatten, die an den Wänden herum tanzten. Severus saß in seinem Sessel, starrte die Wand an und versuchte weiter genau das zu tun, was ihm seit Beginn der Ferien nicht gelingen wollte. Er musste Lysanna vergessen, irgendwie diese Gefühle verdrängen, die sich nach wie vor viel zu präsent anfühlten. Es kam ihm vor, als wäre es gerade erst ein paar wenige Stunden her, als er im Büro des Schulleiters gestanden hatte und einen letzten Blick in ihre geröteten traurigen blauen Augen geworfen hatte. Er vermisste sie, er brauchte sie, aber er konnte sie nicht haben und das machte ihn rasend. Die Wut half nicht gerade dabei, genügend Disziplin aufbringen zu können, um die Emotionen zu kontrollieren. 

Es gab Tage, da fragte er sich, warum er sich nicht einfach auf sie eingelassen hatte. Warum sie es nicht einfach versucht hatten. Heute war einer dieser Tage. Das Wissen, dass Lysanna irgendwo da draußen war, lebte und womöglich sogar noch immer an ihn dachte, ließen ihn nachdenklich werden. Warum hatte er sich diese Gefühle nicht erlaubt. Er hätte möglicherweise genau in diesem Moment bei ihr sein können, ihr Lächeln sehen können, aber stattdessen hatte er sie fortgeschickt. Er war allein. Severus hätte nicht behauptet, dass es leicht für ihn war, nach Lilys Tod mit dieser unerfüllten Liebe zu leben, aber er hatte einen Weg gefunden. Lily war tot und hatte alles, was sie möglicherweise jemals für ihn empfunden hatte mit ins Grab genommen. Aber Lysanna? Lysanna lebte. Sie war noch da, sie atmete, sie lachte, sie fühlte und sie liebte. Noch nie zuvor hatte ihm irgendjemand solche Gefühle entgegengebracht, noch nie zuvor hatte sich eine so faszinierende Frau, wie Lysanna es war, für ihn interessiert. Es war etwas ganz anderes, als bei Lily. Es war nicht nur anders, sondern wahrscheinlich einfach unmöglich. Er konnte sie einfach nicht vergessen, so lange er wusste, dass sie irgendwo dort draußen war. Diese schmerzhafte Erkenntnis nagte an ihm, er hatte wirklich geglaubt, dass er sie einfach vergessen würde, dass er es schaffen würde, einfach nicht daran zu denken, dass sie noch immer hier war und noch immer Gefühle für ihn hatte. 

"Alte Runen" eine Severus Snape FF - Snape x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt