„Ihr zwei Vollidioten!", schrie Kim und kam auf uns zugestürmt. „Was zum Teufel ist in euch gefahren? Habt ihr sie nicht alle? Euch einfach gegenseitig die Köpfe einzuschlagen! Was stimmt denn nicht mit euch?! Ich fasse es nicht, dass ihr so dumm seid!" Ihre Hände zitterten leicht, so kräftig sie sie zusammendrückte. Wehe, wenn sie nun anfangen würde jemanden zu schlagen. Das hätte gerade noch gefehlt. Das tat sie aber nicht, zumindest noch nicht. Stattdessen wendete sie ihre wütende funkelnden Augen Oli zu. „Oli, wieso zur Hölle hast du ihn geschlagen? Du bist doch nicht so! Du bist doch von euch beiden der Vernünftige! Du schlägst dich nicht! Was fällt dir ein ihn zu schlagen?! Du wusstest doch genau, dass er sich das nicht gefallen lassen würde! Also was sollte das?" Sie ließ ihm nicht die Zeit auf ihre Frage zu antworten, denn schon hatte sie zu Robin gedreht. „Und du! Kann ja sein, dass du wütend warst und ja, Oli hat dich zuerst geschlagen, aber das ist kein Grund, dass du zurück schlägst. Insbesondere nachdem du Elisa erwähnt hast! Du weißt ganz genau, dass er darauf empfindlich reagiert! Das war unter der Gürtellinie! Das war zu viel und das weißt du ganz genau! Verdammte Scheiße, wie konntest du nur!"
In Kims Augen sammelten sich die Tränen und bevor es doch noch zu etwas schlimmeres kam, griff ich nach ihrer Hand. „Kim, bitte beruhig dich."
Bestürzt sah sie mich an. „Du hast ja recht." Unter meiner Berührung entkrampfte ihre Hand. „Es ist nur..." Sie fiel mir um den Hals und begann hemmungslos zu schluchzen.
Ich schloss die Augen und versuchte mich darauf zu konzentrieren, dass Kim das gerade brauchte. Ich gab mir Mühe das Brennen zu ignorieren, dass die Berührung ihrer nassen Haare in mir auslöste. Das Frösteln, dass meinen ganzen Körper umhüllte. Mein Instinkt rief mir zu, sie wegzustoßen, um dem Wasser zu entkommen, aber das konnte ich nicht. Nicht, wenn es Kim gerade so schlecht ging. Sie brauchte diese Umarmung. Mir blieb nichts anderes übrig als es zu ertragen.
„Es ist alles in Ordnung, Kim. Ganz ruhig.", flüsterte ich ihr leise ins Ohr. „Es ist alles wieder gut."
„Danke.", murmelte sie und nach einer Weile löste sie sich von mir. „Entschuldige, Elle."
Sie lief zurück zu unseren Taschen und warf mir ein Handtuch zu. Lächelnd fing ich es auf und trocknete mich ab. Sie hielt sich an meine Worte, auch wenn sie keine Ahnung hatte, warum ich mich so benahm, akzeptierte sie es und half mir dabei.
Oli und Robin standen einfach da und beobachteten das Geschehen, ohne recht zu wissen, was sie tun sollten. Mit hochgezogenen Brauen mustere ich die beiden. Kopfschüttelnd lief zu meinem Rücken und gab ihnen ein Handzeichen mir zu folgen. Etwas überrascht, stellte ich fest, dass sie es tatsächlich taten.
„Setzt euch.", befahl ich, während ich zur selben Zeit in meinem Rucksack nach der kleinen roten Box und meiner Wasserflasche suchte. Ich kniete mich vor die Jungs und legte die geöffnete Box neben mich. Bevor ich irgendwas anderes machte, griff ich nach dem Desinfektionsmittel und desinfizierte mir damit die Hände. In dieser Zeit versuchte ich mir einen besseren Überblick über die Verletzungen zu verschaffen. Olis Nasenbluten hatte zum Glück von selbst aufgehört. Robins Lippe hingegen blutete noch immer ein wenig. Damit war die Entscheidung gefallen. Es sah nicht so aus als wäre die Wunde schmutzig, aber sicherheitshalber nahm ich eine Kompresse und benetzte sie mit einem Wundspray und tupfte damit die Haut drumherum etwas ab. Danach schnitt ich ein Stück einer sterilen Mullbinde ab und reichte es ihm. „Drück damit etwas auf die Wunde, bis die Blutung stoppt, aber auch nicht so fest, dass die Durchblutung durchstoppt wird. Sind deine Zähne noch ganz?"
„Ich glaube schon.", antwortete er und öffnete den Mund, damit ich es überprüfen konnte. Es sah alles in Ordnung aus. Sein Zahnfleisch blutete zwar auch ein wenig, aber es wirkte nicht sonderlich schlimm.
Ich nickte ihm zu, desinfizierte meine Hände erneut und begann vorsichtig Olis Gesicht zu reinigen. Er zuckte unter der Berührung zusammen, aber gab sich Mühe still zu halten. Als ich das gröbste Blut entfernt hatte, griff ich nach der Sofortkühlkompresse und drückte zu, um sie zu aktivieren. Dann griff ich hinter mir nach meinem T-Shirt und wickelte das Kühlpack damit ein, bevor ich es Oli überreiche. „Kühl deine Nase damit.", forderte ich und schüttelte den Kopf. Ich konnte es nicht fassen, dass ich wieder in einer solchen Situation war. Ich hatte zwar die Gewohnheit ein Erste-Hilfe-Set im Rucksack mit mir rumzutragen nie abgelegt, aber hatte nicht wirklich gedacht, dass ich das jemals wieder brauchen würde. Bisher hatte ich immer nur Manus Schlägereien miterlebt.
Als nächstes schaute ich mir die Schürfwunden an. Sie waren alle recht oberflächlich und bis auf eine an Robins Oberarm auch ziemlich klein. Trotzdem sprühte ich etwas des Wundsprays auf jede Einzelne, bis nur noch die Größte blieb. In dieser schien sich etwas Dreck angesammelt zu haben. Erneut desinfizierte ich mir die Hände und betrachtete die Wunde genauer und kam zu einem Entschluss. Ich drehte meine Flasche auf und legte eine Hand auf Robins Arm oberhalb der Wunde. Dann wusch ich die Wunde ein wenig aus. Als letztes gab ich auch hier ein wenig Wundspray drauf.
„Könnt ihr laufen?", fragte ich. „Das sollte sich vielleicht doch besser nochmal ein Arzt anschauen. Nicht, dass ihr noch bleibende Schäden davontragt, auch wenn ihr es nicht anders verdient hättet."
Wir packten alles zusammen und machten uns auf den Weg. Kim und ich liefen einige Meter von den Jungs, die bisher noch kein Wort gesagt hatten. Ich versuchte eine Position für mein Rucksack zu finden, die so bequem wie möglich war. Es war ein seltsames Gefühl ihn auf der nackten Haut zu spüren. Wer geht auch schon in einem Bikinioberteil wandern? Zum Glück war es nicht sonderlich weit.
„Es tut mir leid.", hörte ich Oli nach einer Weile sagen. „Ich hätte-"
„Hör auf.", erwiderte Robin. „Du bist nicht derjenige, der sich entschuldigen muss. Mir tut es leid. Kimmi hat recht. Ich hätte sie nicht erwähnen dürfen. Das war scheiße von mir."
„Oh ja, das war scheiße von dir!"
„Idiot!"
„Blödmann!"
Ich lachte leise. Wieso mussten Jungs sich eigentlich immer beleidigen nachdem sie sich vertrugen. Konnte man es nicht einfach bei der Entschuldigung belassen? Robin und Oli begannen sich wieder zu unterhalten, als wäre nie etwas geschehen.
„Ich mag es sie so zu sehen.", erzählte mir Kim. „Sie sind so verschieden und zur selben Zeit sind sie sich unfassbar ähnlich. Ich liebe es, wenn sie rumalbern. Ich könnte sie stundenlang dabei beobachten. Die beiden gehören für mich zu den wichtigsten Personen meines Lebens und es ist wunderschön zu sehen, dass sie sich so gut verstehen. Sie geraten immer wieder mal aneinander, aber vertragen sich sofort wieder. Sie können einfach nicht lange aufeinander böse sein. Diesmal dachte ich aber, dass es anders sein würde." Sie blickte kurz zu ihnen zurück, bevor sie weitersprach: „Sie streiten immer mal wieder, aber noch nie haben sie eine Auseinandersetzung durch eine Schlägerei ausgefochten. Er hätte Elisa wirklich nicht erwähnen dürfen."
Ich runzelte die Stirn. Da war sie wieder. Elisa. Wer war sie? Es ging mich nichts an, deshalb würde ich nicht nach ihr fragen, aber neugierig war ich schon.
Kim schien das zu merken. „Du willst wissen, wer Elisa ist.", stellte sie fest.
„Nein! Also ja, irgendwie schon, aber ist schon in Ordnung. Es geht mich nichts an. Ich verlange ganz sicher nicht, dass ihr mir das erzählt."
„Ihr seid Freunde. Er hätte sicherlich nichts dagegen, wenn du es wüsstest, aber mir steht es nicht zu es dir zu erzählen. Doch du kannst ihn wirklich danach fragen. Er wird es dir garantiert erzählen."
Ich nickte, aber insgeheim wusste ist, dass ich ihn nicht nach Elisa fragen würde. Wir könnte ich auch? Es gab Sachen, über die ich nicht sprechen und auch nicht danach gefragt werden wollte und wer auch immer diese Elisa war: Oli machte irgendwas daran zu schaffen.
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Greatest Love but Greatest Fear
Teen FictionElles Leben hatte sich von einem auf den anderen Tag geändert. Nichts war mehr gewesen wie bisher. Sie hatte alles verloren. Doch dieser Tag war nun schon drei Jahre her und trotzdem war sie noch immer nicht bereit loszulassen. Aber ihr Umzug in da...