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„Ich mag Partys nicht einmal... Warum zum Teufel bin ich hier?", fragte ich als wir am Wegrand im Wald standen. Es war bereits dunkel, die Musik dröhnte laut und schaffte es mein Herzschlag zu übertönen. „Ich will da nicht hin."

„Es liegt allein bei dir. Das weißt du. Wenn du umdrehen willst, dann verschwinden wir von hier. Du allein entscheidest." Robin lächelte mich an und griff nach meiner Hand. „Aber ich weiß, dass du es kannst."

„Ach verdammt!" Ich riss meine Hand von seiner los und raufte mir die Haare. Ich hatte das Bedürfnis zu schreien. Ich riss sogar meinen Mund auf, aber ich entließ nur einen lautlosen Schrei. Auf gewisse Weise half es trotzdem. Ich hob meinen Blick wieder zu Robin. „Ich hasse es, dass du immer wieder mit der gleichen Aussage erfolgreich bist!"

Lachend zuckte er mit den Schultern. „Es ist nur die Wahrheit und du kennst sie auch. Deswegen funktioniert sie jedes Mal."

„Es ist aber nervtötend!"

„Warum sollte ich mir was neues ausdenken, wenn das alte immer noch wirkungsvoll ist?"

„Dein süffisantes Grinsen macht es nicht besser!" Ich verschränkte die Arme vor der Brust, musste aber trotzdem lächeln. „Verdammt, lass uns nach hinten gehen."

Ein schmaler Weg führte an der Holzhütte herum. Die Äste hingen so tief, dass man sich regelmäßig bücken musste, um nicht dagegen zu laufen. Doch das war die geringste meiner Sorgen.

Mit jedem Schritt beschleunigte sich mein rasender Puls noch mehr. Mein Körper verkrampfte, aber ich zwang ihn weiterzulaufen. Ich konnte das, rief ich mir ins Gedächtnis.

Das war nur ein Punkt mehr auf meiner Liste, den ich abhaken konnte. Die anderen hatte ich schon abgeschlossen und das sogar ziemlich erfolgreich. Ich war in Hofond gewesen. An so vielen Orten voller Erinnerungen. Ich habe die Nacht sogar in meinem alten Bett verbracht. Das hier war nur noch ein weiterer Schritt auf einem langen Weg. Ein Weg, der mich, wenn ich ihn beenden könnte, zurück ins richtige Leben bringen könnte. In ein Leben, in dem ich nicht mehr ständig in meinem Schmerz versank.

Doch noch fühlte sich das Ziel sehr weit weg an. Dabei hatte ich schon Fortschritte gemacht. Das wusste ich. Ich musste mir nur in Erinnerung rufen an welchem Punkt ich vor einem Jahr gewesen war.

Wenn ich das mit Heute verglich... Es lagen Welten dazwischen.

Es waren viele Menschen da. Sehr viele Menschen. Ich hatte vergessen, wie viele Jugendliche aus der Umgebung zu diesen Partys kamen. Dorfpartys waren immer legendär gewesen und von allen Dörfern aus der Umgebung waren die unseres Dorfes die beliebtesten gewesen. Das lag an dem Platz. Wir waren im Wald, weit und breit keine Nachbarn, die sich über den Lärm beschweren konnten und trotzdem recht nah an der Straße, wo sogar nachts noch ein Bus fuhr. Zumindest am Wochenende. Zwar nur alle zwei Stunden, aber das war mehr als man von den meisten Dörfern behaupten konnte.

Zudem gab es die große Hütte, die den Jugendlichen immer zur Verfügung gestellt wurde, wenn man sich bereit erklärte alles wieder aufzuräumen und bei dem Besitzer, der etwas außerhalb des Dorfes wohnte, den Rasen zu mähen oder eine andere Aufgabe übernahm.

Es war ein geringer Preis, den alle bereit waren zu bezahlen.

Die Hütte war groß genug, dass man selbst im tiefsten Winter eine Party schmeißen konnte, aber im Sommer blieben alle draußen. So wie heute.

Viele tanzten. Andere standen in kleineren Gruppen und unterhielten sich, andere sah ich Getränke mixen, Bier Pong spielen oder sich am, tatsächlich recht gut bestückten, Buffet bedienen.

Mehrere bekannte Gesichter tauchten in meinem Blickfeld auf, doch für jede bekannte Person, kamen mehrere Personen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Zumindest glaubte ich das, aber vielleicht hatte sie die Pubertät zu sehr verändert. Schließlich waren mehrere Jahre vergangen. Die Leute, die jetzt hier waren, waren damals noch Kinder gewesen.

Dass ich damals schon zu einer der späteren Partys gegangen war, hatte hauptsächlich an Manu gelegen. Er hatte mich mit ein paar Freunden mitgenommen, aber eigentlich gehörten die späten Zeiten den älteren. Ab der zehnten Klasse ungefähr. Meistens waren auch noch ein paar der älteren da. Leute aus den Dörfern, die ihren Schulabschluss bereits hinter sich hatten und sich regelmäßig über die jüngeren aufregten, die ihre ersten Erfahrungen mit Alkohol und Partys machten.

Das wäre heute Manus Aufgabe gewesen, wenn er doch nur hier sein könnte.

„Willst du tanzen?", riss mich Robin aus den Gedanken.

„Ja.", antwortete ich zu meiner eigenen Überraschung. Es wäre eine gute Möglichkeit in der Menge unterzutauchen. Vielleicht würde man mich nicht sofort erkennen. Vielleicht würde man mich überhaupt nicht erkennen.

Das war unwahrscheinlich. Achim hatte mich auch auf der Straße erkannt. Genauso wie Klara und sie war schließlich hier irgendwo. Spätestens wenn sie mich entdeckte, hatte ich keine Chance mehr dem ganzen zu entkommen. Doch das war ein Problem meines zukünftigen Ichs. Einer sehr nahen Zukunft, aber dennoch der Zukunft.

Das war aber nicht der einzige Grund, warum ich zugestimmt hatte. Ich wollte mit Robin tanzen. Es war seltsam, aber ich sehnte mich nach seiner Nähe, obwohl er die ganze Zeit bei mir war. Nachts schlief ich in seinen Armen und tagsüber berührten wir uns auch ständig. Wenn er mich gerade nicht umarmte, um mich zu trösten, dann hielt er meine Hand, um mir Kraft zu geben.

Doch obwohl wir ständig Körperkontakt hatten, wünschte ich mir ihm noch näher zu sein.

Hatte er recht und das lag nur daran, dass ich die Leere, die der Tod meiner Familie hinterlassen hate, füllen wollte? Ging es mir gar nicht um Robin? Hätte es jede Person sein können? Würde ich mich auch so sehr nach Adrian sehnen, wenn er jetzt hier wäre? Oder nach Kim? Oder Oli?

Wir hatten noch nicht lange getanzt, als ich im Hintergrund leise meinen Namen hörte, aber keiner näherte sich und auch wenn ich mich umsah, erkannte ich nicht, woher das gekommen sein konnte.

„Alles okay?", fragte Robin mit gerunzelter Stirn.

„Ich glaub ich werde nur etwas paranoid...", murmelte ich und seufzte. „Alles in Ordnung."

Doch das war es nicht. Dieses Mal hatte ich meinen Namen ganz deutlich gehört. „Elle?"

„Ist sie es wirklich?"

„Das kann nicht sein!"

„Aber das ist sie doch!"

„Elle!"

„Oh mein Gott!"

„Seit wann ist sie hier?"

„Wie geht es dir?"

„Und ich dachte mein Vater würde spinnen, als er meinte, er hätte Elle im Sipermarkt gesehen."

„Wo bist du gewesen?"

„Kann sie es denn wirklich sein?"

„Seid ihr euch sicher?"

„Warum hast du dich nicht gemeldet?"

„Sie ist es!"

Greatest Love but Greatest FearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt