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„Ist das Manus Zimmer?", fragte er leise, als wir schon mehrere Minuten vor der verschlossenen Tür standen.

Ich nickte, nicht in der Lage die Worte auszusprechen. Ich war überrascht gewesen, wie einfach es in meinem Zimmer gewesen war. Es war nicht einfach im eigentlichen Sinne, aber im Vergleich zu dem, was ich mir vorgestellt hatte, war es ein Kinderspiel gewesen und doch hatte ich nicht die gleiche Hoffnung für Manus Zimmer.

Die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass dieses Zimmer mein Untergang sein würde. Ein und für alle Mal.

„Du kannst das.", flüsterte Robin genau in diesem Augenblick. „Ich weiß, dass du das kannst."

„Woher weißt du das?", fragte ich.

„Weil ich sehe, was du bereits geschafft hast. Weil ich sehe, wie stark du bist und weil ich weiß, dass du da nicht allein durchmusst. Ich bin hier. Ich bin für dich da. Immer."

Ich ließ meinen Kopf nach hinten fallen und blickte hoch zur Decke. Ich musste mich zwingen gleichmäßig zu atmen, doch selbst das half nur bedingt. Das Blut rauschte in meinen Ohren, mein Körper zitterte, wie Espenholz und meine Augen brannten.

In mir wütete ein Kampf. Ich wollte das. Ich wollte dieses Zimmer betreten. Ich wollte Manu wieder näher sein und doch war genau das, das letzte was ich wollte.

Mit einer unruhigen Bewegung hob ich meine Hand und legte sie auf den Türgriff. Mit geschlossenen Augen ließ ich die Tür aufschwingen und trat hinein.

Es war unmöglich und dennoch hatte ich das Gefühl, dass das Zimmer noch immer nach ihm roch. Genauso wie die T-Shirts, die anfangs ständig von ihm trug. Eigentlich war es ziemlich witzig, wie viele er davon mitgenommen hatte. Wir wollten nur ein Wochenende zum Wettbewerb fahren du trotzdem hatte er so unfassbar viele davon dabei. Ich hatte nie verstanden warum. Normalerweise hatte er nie so viele Klamotten eingepackt. Mir kam es damals natürlich zugute und ich trug sie ja immer noch zum Schlafen, aber es war durchaus seltsam. Fast als hätte ein Teil von ihm gewusst, dass ich sie brauchen würde.

Der Gedanke ließ sofort die Tränen in mir aufsteigen, doch ich wischte sie weg, bevor sie mir übers Gesicht liefen.

Meine Knie drohten unter mir nachzugeben und bevor das geschah, setzte ich mich auf den Boden und zog meine Beine an meine Brust. So saß ich einige Zeit lang da, noch immer mit geschlossenen Augen. Ich wusste, dass ich nicht ewig so weitermachen konnte. Ich musste handeln und zwar jetzt.

Also öffnete ich schlagartig die Augen, bevor ich es mir doch anders überlegen konnte.

Der Anblick erschlug mich, obwohl es eigentlich nichts zu sehen gab. Alles war zugedeckt, genau wie es in den anderen Räumen gewesen war. Doch hier fühlte es sich anders an. Hier zerbrach es mir das Herz. Es war als würde man mir unter die Nase reiben wollen, dass Manu nicht mehr hier war. Er brauchte das Zimmer nicht mehr. Er würde niemals wieder einen Fuß hier reinsetzen. Ich würde ihn nie wieder sehen.

Diesmal konnte ich es nicht verhindern und begann zu weinen. Die Tränen hinterließen eine heiße Spur über meine Wangen. Über meinen Rücken krochen eiskalte Schauer.

Er war fort. Er würde nie wieder zurückkommen. Ich hatte ihn verloren. Er war tot.

Es war alles andere als eine neue Erkenntnis, doch trotzdem raubte sie mir den Atem. Es war die Wahrheit, die ein Teil von mir, auch wenn es schon Jahre her war, nicht wahrhaben wollte. Ich wusste, dass es wahr war, aber ein Teil von mir, konnte es nicht zugeben. Es war ein kleiner Teil, aber eben dieser Teil trug wohl die Mitschuld daran, dass ich nicht darüber hinweg kam. Das würde ich wohl nie, aber irgendwas musste ich tun, um zumindest normal leben zu können.

Es war doch so, wie ich am Anfang des Schuljahres gesagt hatte. Manu hätte nicht gewollt, dass ich so sehr in der Trauer, dem Schmerz und der Schuld versank. Er hätte gewollt, dass ich wieder glücklich werde. Er würde wollen, dass ich lebte und nicht nur überlebte.

„Kannst du... Kannst du die Laken entfernen?", fragte ich mit brüchiger Stimme. Sie war kurz davor den Geist aufzugeben, doch Robin verstand mich und begann ein Tuch nach dem anderen von den Möbeln zu entfernen.

Erst das Bett, den Nachttisch auf dem Buch lag. Eines der Sternchenthemen fürs Abitur. Das Regal mit einigen Büchern, aber vor allem Fotoalben. Sein Kleiderschrank, von dem ich wusste, dass im Inneren eine riesige Auswahl an einfarbigen Basic-Shirts zu finden war. Sein Schreibtisch an dem wie gewöhnlich das Chaos herrschte. Sein Tisch sah immer aus, als wäre eine Bombe eingeschlagen. Überall flogen lose Notizzettel rum, Bücher, Notenblätter, ausgedruckte Fotos, Stifte, Kleber, sein Laptop, Post it's und auch seine Kamera.

Alles an diesem Zimmer erinnerte mich an ihm. Jedes Detail war so vertraut und doch schmerzte es so sehr es zu sehen. Mein Herz verkrampfte bei den Erinnerungen. Manu war der beste Mensch, den ich jemals kennenlernen würde. Er war mein Seelenverwandter gewesen. Seelenverwandtschaft hatte nichts mit romantischer Liebe zu tun. Diese Person macht einen vollständig und genauso war es bei uns gewesen. Nur mit ihm an meiner Seite hatte ich das Gefühl ganz zu sein. Er war mein Gegenstück. Er brachte das beste in mir zum Vorschein. Er konnte mich immer zum Lachen bringen. Bei ihm fühlte ich mich immer wohl. Er machte mich glücklich. Er gab mir Stärke, Zuversicht und Hoffnung.

Doch diese Zeit war vorbei. Er war nicht mehr hier. Ich konnte mich nicht darauf verlassen, dass er mich vervollständigte. Ich musste lernen selbst genug zu sein. 

Greatest Love but Greatest FearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt