Als ich wenige Stunden später aufwachte, lag Robin regungslos auf dem Rücken in seinem Bett. Nur seine Brust hob und senkte sich. Am liebsten hätte ich mich auch noch einmal umgedreht und doch noch etwas länger geschlafen. Es waren nur etwas über zwei Stunden, die ich geschlafen hatte, dafür hatte ich quasi die ganze Nacht durchgemacht. Trotzdem blieb ich nicht liegen. Es war die perfekte Gelegenheit, um mich unbemerkt rauszuschleichen.
Ich kam mir vor als hätte ich einen One-Night-Stand gehabt, so wie ich gerade halb angezogen, mit meinen Schuhen in der Hand aus dem Zimmer eines Typen rausschlich.
Oli und Kim lagen engumschlungen in ihrem Bett und schliefen. Leise zog ich mich an und schlich wieder hinaus, ohne sie zu wecken.
Das Gelände draußen war wie ausgestorben. Keine Menschenseele lief hierrum. Alle schienen noch zu schlafen, was ich nur zu gut verstehen konnte. Doch welche Wahl hätte ich gehabt? Bei Robin im Zimmer bleiben? Mich in mein eigenes Bett legen und neben den beiden Turteltauben schlafen? Klang für mich auch nicht sonderlich verlockend.
Wie automatisiert hatten mich meine Beine zum See getragen. Ich hatte nicht darüber nachgedacht, wo ich hinlief, aber welches Ziel hätte ich auch sonst anlaufen sollen? Es war die naheliegenste Wahl. Ich bereute es ein Wenig mir keinen Kaffee gemacht zu haben, aber ich hatte das Risiko nicht eingehen wollen, die beiden zu wecken.
Am Strand standen noch immer die Tische, Kühltruhen und auch die Musikboxen, wobei diese ordentlich abgedeckt wurden, um sie zu schützen, falls es geregnet hätte. Doch zu meiner Überraschung war sonst alles sauber. Hatte schon jemand aufgeräumt? Oder hatte wirklich niemand einen der Becher auf den Boden geworfen? Das konnte ich mir kaum vorstellen und trotzdem schien eines davon der Fall zu sein.
Dieses Internat war seltsam. Es war genauso mit der Küche. Ich hatte gedacht, dass sie spätestens nach einer Woche im Dreck versank, aber tatsächlich blieb sie genauso sauber und aufgeräumt wie an meinem ersten Tag.
Trotz der Ruhe am Strand blieb ich dort nicht stehen, sondern lief in den Wald hinein. Nicht nur, weil ich lieber an meinem Stammplatz sitzen wollte, sondern auch, weil ich mein Handy suchte. Wo hatte ich es gestern nur hingelegt? Inständig hoffte ich, dass ich es im Wald verloren hatte und nicht etwa in Robins Zimmer. Das hätte mir gerade noch gefehlt, doch zu meinem Verdruss konnte ich das Handy nirgendwo finden.
Seufzend ließ ich mich auf den Boden fallen und schlang meine Arme um die Knie. Was hatte ich mir gestern nur dabei gedacht? Wobei genau das wohl das Problem gewesen war. Ich hatte nicht nachgedacht. Wenn ich auch nur einen Funken Verstand gehabt hätte, wäre das nicht passiert.
Meine Hand wanderte wieder zu meiner Kette und ich führte den Ring an meine Lippen und hauchte einen leichten Kuss drauf.
Als ich einige Zeit später zur Mensa lief, waren immer noch sehr wenige Mitschüler unterwegs, aber immerhin ein paar hatten sich an den Tischen versammelt und stocherten lustlos in ihrem Essen herum. Ich musste mir ein schadenfrohes Lachen verkneifen, während ich genüsslich mein Essen verzehrte. Sie sahen alle so fertig aus. Dabei dachte ich immer, dass man in unserem Alter gar keinen Kater bekam, aber eventuell hatte ich mich da getäuscht. Wäre auch nicht allzu überraschend, denn ich hatte keine Erfahrungen mit Alkohol gemacht. Als ich in das Alter kam, in dem meine Mitschüler begannen mit Alkohol zu experimentieren, hatte ich jedes Interesse daran bereits verloren.
Mit einer Tasse Kaffee in der Hand, setzte ich mich, nach dem Essen, vor die Mensa auf den Boden. Die Sonne war heute bereits deutlich weniger warm als gestern, doch sie kitzelte immer noch auf meiner Nase. Oli hatte recht behalten, was den Kaffee anging. Er schmeckte tatsächlich nicht besonders gut. Sehr wässrig und die Kaffeemaschine schien eine gründliche Reinigung und Entkalkung zu gebrauchen. Dennoch war es besser als nichts.
Erst am Nachmittag machte ich mich zurück auf mein Zimmer. Oli und Kim waren noch immer auf ihrem Bett, allerdings saßen sie zumindest, redeten leise miteinander und tranken Kaffee.
Wenn alles andere nicht sowieso abwegig gewesen wäre, hätte mir spätestens der himmlische Geruch verraten, dass es ein sehr viel besserer Kaffee war als der, den ich vorhin getrunken hatte.
„Da bist du ja!", rief Kim und verzog direkt das Gesicht und rieb sich über die Schläfe. „Wo warst du denn?"
„Zumindest nicht hier.", antwortete ich grinsend und drückte auf den Knopf, um mir selbst noch einen Kaffee zu machen.
„Ach, sag bloß und ich dachte du wärst eben die ganze Zeit bei uns gewesen." Kim verdrehte die Augen.
„Na dann weißt du jetzt Bescheid."
Sie hätte wahrscheinlich noch mehr dazu gesagt, doch gerade in dem Augenblick wurde die Tür aufgerissen und Robin kam hereingeplatzt. „Verdammt Leute! Was ist gestern passiert? Ich erinnere mich an fast gar nichts mehr!"
„Filmriss?", fragte Kim, während ich die Tasse nahm und sie seufzend Robin reichte.
„Oh, vielen Dank!" Robin lächelte mich an, setzte sich auf mein Bett und hob die Tasse zu seinem Mund. „Perfekt!"
Ich hingegen drückte noch einmal auf dem Knopf und schaute zu wie der Kaffee in einem dünnen Strahl in die Tasse lief.
„Ja, ich hab ein Filmriss.", führte Robin das Gespräch wieder auf das eigentliche Thema zurück. „Und was für einen! Was ist gestern alles passiert? Ich weiß noch, dass so ein Mädchen mich angegraben hat, aber ihr Gesicht ist verschwommen."
Wow. Wirklich? Genauso ein Typ war er nun einmal. Jemand, der sich nicht mehr an ihren Namen erinnerte... Er hatte einen Filmriss, na gut... aber trotzdem. Er schien sich ja an ihre Existenz zu erinnern.
„Ich glaube wir haben uns auch kurz miteinander unterhalten, Elle? Kann das sein?"
Ich verkniff ein Lachen. Selbst wenn wir die Zeit am Anfang weg ließen, in der wir nur nebeneinander standen und er sich mit dem Mädchen beschäftigt hatte, hatten wir mehrere Stunden miteinander verbracht. „Ähm... Ja... Ja, das haben wir..."
„Okay, dann wäre das zumindest eine kurze Zeit meines Abends... Aber was ist sonst passiert? Was hab ich gemacht?"
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Greatest Love but Greatest Fear
Teen FictionElles Leben hatte sich von einem auf den anderen Tag geändert. Nichts war mehr gewesen wie bisher. Sie hatte alles verloren. Doch dieser Tag war nun schon drei Jahre her und trotzdem war sie noch immer nicht bereit loszulassen. Aber ihr Umzug in da...