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Ob es nun aus Angst vor dem kommenden Tag war oder ob mir Robins Zuspruch geholfen hatte, ich versuchte es noch einmal. Nur war es nicht wirklich von Erfolg gekrönt. Ich kam zwar ein paar Häuser weiter, aber unser Haus war noch sehr weit entfernt.

Ein Teil von mir dachte sogar, dass es mir noch schlimmer ging als vor einer Stunde. Ich war zwar weitergelaufen, aber mein Körper hasste mich dafür. Alles an mir hasste mich dafür. Ich hatte einen Fuß vor den anderen gesetzt, aber es kam mir vor als wäre ich in einer Art Trance gewesen. Ich hatte den Schmerz zwar gespürt, aber trotzdem fühlte sich mein Körper taub an. Als würde ich mich selbst vor dem Schmerz retten wollen, aber das half nicht. Ich wusste, dass das nichts brachte. Ich konnte den Schmerz nicht überwinden, wenn ich ihn nicht spürte. Ich war zwar weiter gekommen, geographisch gesehen, aber mental war ich eher zurückgeworfen worden. Das hier war kein Fortschritt. Es war ein Rückschlag. Ein herber Rückschlag und ich zweifelte stark daran, dass ich das auch nur ansatzweise schaffen könnte. Wie könnte ich? Jedes Mal wenn ich mir etwas Hoffnung erlaubte. Hoffnung, dass es möglich war, wurde ich zurück auf den Boden der Tatsachen geschleudert. Ich war nicht stark genug. Robin hatte unrecht. Ich war nicht stark. Ich hatte keinen Mut. Ich besaß nicht die Willenskraft, die ich benötigte, um das alles durchzuziehen.

Ich war am Ende. Ich sollte zur Pension fahren, meine Sachen einpacken und so schnell wie möglich von hier verschwinden. Keine Sekunde länger sollte ich hier bleiben. Es hatte keinen Zweck. Es würde nichts bringen. Ich konnte das nicht, also hatte es keinerlei Grund hier zu bleiben.

Und doch, konnte ich mich auch nicht dazu bringen zu gehen. Ich blieb einfach stehen. Mitten auf dem Weg. Ich konnte mich nicht bewegen. Mein Körper war erstarrt.

Aber selbst wenn ich bereit war in Hofond zu bleiben und es weiter zu versuchen... Wie sollte ich Achims Einladung annehmen können? Wie sollte ich dahin gehen. Wie sollte ich zu ihm nachhause gehen, wenn ich nicht mal in der Lage war ihn anzusehen.

Das war unmöglich.

Welche Möglichkeiten blieben mir dann also? Hofond verlassen. Das konnte ich nicht. Aus irgendeinem, mir unerfindlichen Grund, weigerte sich ein Teil von mir. Teilweise ergab es durchaus Sinn. Wenn ich Hofond verließ, ohne es zu schaffen, dann hatte meine Reise bisher den einzigen Zweck gehabt, dass ich mich selbst quälte. Außerdem musste ich es doch irgendwann schaffen darüber hinwegzukommen. Bald waren es vier Jahre. Vier ganze Jahre, in denen ich die Zeit gehabt hatte mit ihrem Tod zurechtzukommen, ihn zu akzeptieren und doch hatte ich das nicht mal ansatzweise geschafft. Ich konnte nicht mein ganzes Leben lang so weitermachen. Es wurde Zeit weiterzumachen.

Diese Möglichkeit schied also aus.

Zweitens: Ich könnte Achims Einladung ignorieren und einfach weitermachen, wie bisher. Nicht, dass es sehr erfolgreich gewesen war, aber immerhin konnte ich kleine Fortschritte verzeichnen. Das Problem war nur, dass ich Achim eigentlich nicht verletzen wollte. Nicht so wie sie mich verletzt hatten. Es hatte Zeiten gegeben, da waren sie meine zweite Familie gewesen. Ich hatte sie geliebt und ich hatte immer geglaubt, dass sie auch mich geliebt hatten. Mich und Manu. Abgesehen davon würde mich Achim wiederfinden. Zumindest, wenn ich weiterhin versuchen würde mich meinen Ängsten zu stellen.

Ich konnte die Einladung also nicht einfach ignorieren.

Naheliegend wäre auch die Möglichkeit einfach hinzugehen. Nur, dass es nicht einfach war. Ganz und gar nicht einfach. Wäre es einfach, dann hätte ich kein Problem. Genau darum ging es ja.

Ich seufzte und lehnte mich gegen Robins Brust, der sofort seine Arme hob und mich mit einer Umarmung umschloss.

Als ich mich wieder löste, sah ich seinen sorgenvollen Blick, aber konzentrierte mich schnell wieder auf die Straße. Ich konnte mir diesen Blick gerade nicht antun.

Greatest Love but Greatest FearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt