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„Wie geht es dir?"

„Überraschend gut?", antwortete ich.

„Ist das eine Frage oder eine Feststellung?"

„Feststellung?"

Er hob seine Augenbrauen. „Wieso klingt das dann wieder nach einer Frage?"

„Wohl, weil ich nicht glauben kann, dass ich mich nicht vollkommen beschissen fühle." Ich zuckte mit den Schultern. „Und ich sogar vorhabe Lisa anzurufen, um mich noch einmal mit ihr zu treffen. Jetzt."

„Wirklich?" Er strahlte mich an. „Das ist ja großartig!"

„Wenn ich es nicht gleich mache, dann werde ich es auch nicht durchziehen."

„Worauf wartest du dann? Ruf an!"

Lachend verdrehte ich die Augen und zog mein Handy aus der Tasche. Mit zitternden Fingern tippte ich die Nummer, die auf dem Zettel stand, ab. Nach nur einem Klingeln, hörte ich ihre Stimme: „Ja, hallo?"

„Hey, ich bins... Ähm... Elle."

„Hey! Wie schön von dir zu hören!"

„Äh ja... Ich wollte nur fragen, ob du Zeit hast. Jetzt..."

„Klar doch! Sag mir nur wo ich hinkommen soll, ich mach mich sofort auf dem Weg!"

„Sind deine Eltern zuhause?", fragte ich.

„Ne, die sind bei Freuden. Wieso?"

„Ich dachte ich könne zu dir fahren... und wir unterhalten uns..."

„Klar, ich bin zuhause. Kommt vorbei, wann es euch passt."

„Bis gleich." Ich legte auf.

Robin umarmte mich. „Ich bin so stolz auf dich!"

„Noch habe ich doch gar nichts geleistet."

„Natürlich hast du das! Du hast sie angerufen."

Ich verdrehte die Augen.

„Okay, willst du mich dabei haben?"

„Ja." Ich seufzte. „Aber es wäre wohl besser, wenn du es nicht bist..."

„Es ist deine Entscheidung."

„Die Sache ist die, dass ich glaube, dass Lisa auch etwas braucht, um es zu verarbeiten und ich habe das Gefühl ihr helfen zu können, in dem ich ihr zuhöre, aber ich weiß nicht, ob sie frei sprechen kann, wenn du da bist..."

„Dann lass ich euch allein, aber ich bleibe in der Nähe und wenn du mich brauchst, bin ich sofort bei dir."

„Danke."

„Stand Lisa Manu sehr nah?"

„Kann man wohl sagen.", stellte ich amüsiert fest. „Hab ich das gar nicht erzählt?"

Er zuckte mit den Schultern. „Glaub nicht?"

„Lisa und Manu waren zusammen. Zumindest bevor sie umgezogen sind. Es hat ihm das Herz gebrochen und ziemlich sicher ihr auch..."

„Oh..."

„Ja... Aber dann lass und losfahren."

Wir holten die Fahrräder ab, die wir in der vorherigen Nacht an das Gitter geschlossen hatte und fuhren erneut zu dem Haus der Schneider, doch während ich dort abstieg, fuhr Robin weiter.

Gefühlt zum ersten Mal seit Wochen zögerte ich nicht als ich zur Tür lief und klingelte. Mein Herz schlug dennoch zu schnell, aber ich war bereit. So bereit ich eben sein konnte.

Es dauerte nicht lange bis Lisa mir die Tür öffnete: „Du bist wirklich gekommen!"

„Dachtest du, dass ich dich anrufe, mich mit dir verabrede und dann doch einfach weg bleibe?"

„Ehrlich gesagt habe ich genau das befürchtet..."

„Wow. Soweit ist es schon gekommen. Früher haben sich andere Menschen auf mein Wort verlassen."

„So ist es gar nicht. Ich hätte es verstanden, wenn du es dir anders überlegt hättest." Sie zuckte mit den Schultern. „Ich habe viel darüber nachgedacht, nachdem du gegangen bist und wir haben uns echt scheiße verhalten. Du hast einen Verlust erlitten, der größer nicht sein kann und wir löchern dich mit Fragen."

„Ich hätte mich auch anders verhalten sollen..." Ich seufzte. „Aber wollen wir vielleicht in den Garten und dort weiterreden, statt hier im Eingang?"

„Oh klar!" Lisa trat zur Seite und ließ mich so eintreten. „Ans Wasser?"

Ich zog einen Mundwinkel nach oben. „Wohin denn sonst?"

Auf dem Weg schwiegen wir. Ein Teil von mir war bereit, ein Teil von mir wusste ganz genau, was ich sagen wollte, doch der andere befand sich auf der exakt gegenseitigen Seite. Dieser Teil wollte fliehen und wollte nicht einmal den Mund öffnen.

„Wenn ich mich nicht irre, hab ich vorhin schon erwähnt, worum es mir geht. Ja, ich habe an diesem Tag meine Familie verloren und habe daher das Recht mich schlecht zu fühlen, aber bei meinem Schmerz, habe ich nicht darüber nachdenken können, dass ich nicht die Einzige bin, die jemanden verloren hat, den sie geliebt hat. Mag sein, dass ich das Recht habe nicht darüber reden zu müssen, aber zur gleichen Zeit solltest du das Recht haben darüber sprechen zu können und das hast du."

Lisas Stirn lag in Falten und ich glaubte in ihren Augen Tränen glitzern zu sehen.

„Ich hatte das Gefühl, dass du etwas loswerden möchtest. Dass du etwas brauchst, um darüber hinweg zu kommen, das ich dir geben kann. Deswegen bitte, tue es."

„Aber wenn ich mit dir darüber spreche, dann hast du ja nicht mehr das, was du brauchst."

„Wenn man es so sieht, dann ja. Du willst über ihn sprechen, ich nicht. Aber es ist in Ordnung. Wenn es mir zu viel wird, dann sag ich Bescheid, aber es ist einfacher zuzuhören, als selbst zu sprechen... Klar, wird es nicht leicht für mich, aber ich habe schon viel gemeistert. Das hier kann ich auch schaffen."

Sie zögerte, aber letzten Endes entschied sie sich mich beim Wort zu nehmen.

Greatest Love but Greatest FearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt