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In der gleichen Position wachten ich wieder auf, doch ich traute mich nicht meine Augen aufzuschlagen. Ich befürchtete, dass ich sofort in Tränen ausbrechen würde, sollte ich dies tun. Ich konnte nicht einmal sagen, weswegen. Ich war an keinem Ort, der Erinnerungen wecken könnte. Ich war noch nie in dieser Pension gewesen.

Robin strich mir leicht über den Arm und flüsterte: „Hast du gut geschlafen?"

„Besser als ich es für möglich gehalten hätte.", gab ich zu, noch immer mit geschlossenen Augen. „Und du?"

„Sehr gut."

„Das freut mich." Ich wusste, dass ich den ganzen Tag bewegungslos hier liegen bleiben würde, wenn ich mich jetzt nicht aufraffte, deswegen richtete ich mich seufzend auf und ging ins Bad.

Sobald ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, begann ich auch schon zu zittern. Jedes Mal wieder hasste ich es. Es war ein Kampf. Ein Kampf, den ich weder gewinnen, noch verlieren konnte, weil ich gegen mich selbst antrat. Ich wusste, dass ich duschen musste, also war es wohl ein Sieg, dass ich es tat, doch es kam mir ebenfalls vor, wie die schlimmste Niederlage, denn es bedeutete Schmerz.

Angezogen und noch immer zitternd, trat ich einige Minuten später wieder in das Zimmer. Sofort kam Robin zu mir, um mich zu umarmen. Ich klammerte mich an ihn fest. Was hätte ich getan, wenn er mich nicht hierher begleitet hätte? Dumme Frage. Ich wusste ganz genau, was ich getan hätte. Ich wäre nach wenigen Meter umgekehrt und im Internat geblieben. Ich hätte es wahrscheinlich nicht mal in den Zug geschafft. Wäre ich dort am Bahnhof gewesen und hätte auf den Zug warten müssen, hätte ich es mir bereits anders überlegt.

„Willst du frühstücken?", fragte ich nach einer Weile, als ich die Kontrolle über meinen Körper weitestgehend zurückhatte.

„Klar. Ich müsste nur vorher kurz ins Bad."

„Oh, verdammt! Sorry!" Ruckartig löste ich mich von ihm und stolperte einige Schritte nach hinten. „Gar kein Stress, lass dir alle Zeit, die du brauchst. Sorry! Ähm, ich schau in der Zeit einfach mal, wo man hier in der Nähe frühstücken kann..."

„Das Frühstück hier ist schon inbegriffen."

„Es gibt hier Frühstück?", fragte ich verblüfft.

Schmunzelnd nickte er. „Ja, gibt es. Also entspann dich noch kurz. Ich brauch auch nicht lang."

Er hatte recht. Ich hatte nur die Fenster zum Lüften geöffnet und ein bisschen Ordnung geschaffen, als er schon wieder rauskam.

Mit einem Lächeln hielt er mir die Tür auf und folgte mir nach Unten. Schon auf den Treppen konnte man das Frühstück riechen, sodass ich, obwohl ich nicht wusste, wo es das Frühstück gab, den Raum ohne Probleme fand.

Es stellte sich als ein kleines Buffet heraus. Trotzdem gab es eine recht große Auswahl. Robin und ich nahmen uns jeder was und setzten uns an einen Tisch in der Ecke. Normalerweise mochte ich es mit dem Rücken zur Wand zu sitzen, doch dieses Mal entschied ich mich bewusst dagegen. Es war zwar unwahrscheinlich, dass hier jemand war, aber es war schließlich nicht unmöglich.

Wir waren fast fertig, als die Frau, die gestern an der Rezeption gewesen war, zu uns an den Tisch trat. „Schmeckt es Ihnen?"

„Ja, vielen Dank. Sehr lecker."

„Das freut mich." Ihr Lächeln wurde breiter. „Wenn Sie noch irgendwelche Wünsche haben, dann melden Sie sich bitte. Wir bereiten es Ihnen zu."

„Danke, aber das wird nicht notwendig sein.", antwortete Robin und ich nickte zustimmend.

„Seid ihr zum Wandern hier?", wollte sie wissen und setzte sich auf den noch freien Platz an unserem Tisch.

„Wir... Wir haben noch keine konkreten Pläne...", antwortete ich ausweichend.

„Wir haben Wanderkarten und Infobroschüren über verschiedene Aktivitäten hier in der Umgebung, wenn ihr daran Interesse habt und natürlich stehe ich, genauso wie mein Mann," Sie zeigte auf einen älteren Herrn, der sich gerade mit einer kleinen Gruppe unterhielt. „für jegliche Fragen zur Verfügung. Ich kann euch gleich ein paar Sachen bringen, wenn ihr Inspiration braucht. Oder kennt ihr euch bereits aus?"

Ich schluckte. Robin sah mich fragend an. Ich wusste, dass er nichts sagen wollte, was ich nicht wollte, aber er wusste auch nicht, wie weit ich von der Wahrheit abweichen wollte. „Ich hatte als Kind oft die Gelegenheit die Gegend zu erkunden. Ich kenne mich also aus."

„Oh wie schön! Habt ihr hier früher die Ferien verbracht?"

„Ja viele davon." Ich hatte sie nicht belogen, auch wenn man auch nicht unbedingt vor der Wahrheit sprechen konnte.

„Wie schön, dass es Ihnen so gut gefallen hast, dass Sie zurückkehren wollten! Es ist hier eine wirklich schöne Gegend, aber vor allem junge Menschen zieht es ja oft in die Städte."

„Dabei ist die Natur viel schöner.", stellte Robin fest.

„Sie sagen es." Sie stand wieder auf und stützte sich dabei an der Tischplatte ab. „Jetzt möchte ich Sie aber auch nicht weiter stören. Sollten Sie irgendwelche Fragen oder Wünsche haben, scheuen Sie es nicht, uns das mitzuteilen."

„Danke."

Sie war bereits einige Schritte gegangen, als sie sich erneut zu uns umdrehte. „Fast vergessen: Im Hinterhof stehen einige Fahrräder zur freien Verwendung. Nehmen Sie sich gerne welche. Sie müssen sich nur bitte in die Liste eintragen, die dort hängt."

Greatest Love but Greatest FearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt