„Bist du dir sicher, dass du mit dem Fahrrad fahren willst?", wollte Robin wissen als wir aus der Einfahrt rollten.
„Ja.", antwortete ich. „Pflaster soll man schnell abreißen."
„Die Analogie habe ich jetzt nicht verstanden."
„Na, ich meine, dass wir mit dem Fahrrad schneller sind. Je weiter wir in die Stadt reinfahren, desto schlimmer wird es. Wenn wir zu fuß unterwegs sind, habe ich viel zu lange um darüber nachzudenken, ob ich noch weiter rein möchte. Spoiler Alarm: will ich nicht."
Meine Worte ließen ihn schmunzeln, aber er nickte. „Also gut. Ich fahre dir hinterher."
Anfangs versuchte ich mich nicht darauf zu konzentrieren, wohin ich fuhr. Ich trat einfach in die Pedale und trotzdem begann mein Herz immer wilder zu schlagen. Man könnte es auf die sportliche Tätigkeit schieben, aber ich wusste es besser. Es war auch nicht nur das. Jemand wühlte sich durch meine Innereien, während ein anderer mit einem Messer in meinen Kopf einhämmerte. Dazu die Bilder, die wie der schlimmste Film aller Zeiten ablief. Als dann auch noch meine Augen zu Tränen begannen, blieb ich stehen. Ich konnte nicht weiterfahren, wenn meine Gedanken wo ganz anders waren, mein Körper aufzugeben drohte und ich nicht einmal sehen konnte, wohin ich fuhr.
Sofort war Robin an meiner Seite und hielt mich fest. Ich vergrub mein Gesicht in der Kuhle zwischen seinem Hals und seiner Schulter, während er mir sanft über den Rücken strich.
„Wir müssen weiter.", flüsterte ich nach einer Weile.
„Wir müssen erst weiter, wenn du dazu bereit bist."
„Ich bin so bereit, wie ich sein kann. Besser wird es nicht."
Er seufzte, ließ mich aber los.
Während er wieder auf sein Fahrrad stieg, schaute ich mich um. Ich wusste, wo ich war, aber das war kein Ort, an dem ich früher Zeit verbracht hätte. Ich hatte keinerlei Verbindung zu diesem Ort.
In diesem Moment schien mein Herzschlag sich ein winziges bisschen zu beruhigen.
Das war doch ein Anhaltspunkt. Ich fuhr also weiter und nahm bewusst Straßen, die ich früher nie genommen hatte, um zu Orten zu fahren, an denen ich nie oder zumindest fast nie gewesen war. Orte, die mich nicht mit Erinnerungen überfluten würden. Es funktionierte. Mehr oder weniger. Der Schmerz ging nicht weg, aber er wurde erträglich. Er befand sich auf einem Level, auf dem er auszuhalten war. Er war sogar auf einem solchen Level, dass ich bereit war einen Ort aufzusuchen, den ich von früher kannte. Kein Ort zu dem ich eine große Bindung hätte, aber eben auch kein fremder Ort.
Es war ein Spielplatz. Wir wohnten auf der anderen Seite der Stadt, doch eine Freundin von mir hatte eine Zeitlang hier in der Nähe gewohnt. Wir waren damals in diesem Alter gewesen, in dem man zwar eigentlich auf dem Spielplatz gehen wollte, um zu spielen, aber man es meistens nicht tat, weil man sich für zu alt oder zu cool dafür fühlte. Ein paar Mal waren wir aber trotzdem hingegangen, wenn sonst keiner da gewesen war.
Es war eine schöne Erinnerung, dir mir auch ein kleines Lächeln ins Gesicht zauberte, aber hauptsächlich löste diese Erinnerung Trauer aus. Vielleicht hatte ich damals falsch gehandelt. Vielleicht hätte ich meinen Freunden doch nicht den Rücken kehren sollen. So wie ich es getan hatte, hatte ich an diesem Tag nicht nur meine Familie verloren, sondern alles. Ich hatte meine Freunde verloren und mein zuhause. Es war nichts mehr übriggeblieben. Rein gar nichts.
Nicht alles war genau gleichgeblieben. An manchen Stellen erkannte ich Neuerungen. Nichts großes und dennoch zeigten sie mir auf, dass das hier nicht mehr der Ort war, den ich verlassen hatte. Doch ich wusste, dass ich mich viel mehr verändert hatte als die Stadt. Ich war heute ein völlig anderer Mensch als damals. Der Unfall hatte mich verändert.
Wir fuhren an diesem Tag an noch mehrere Orte. Orte, die ich immer besser kannte, aber an keinen, der mir wirklich etwas bedeutete. Trotzdem reichten sie aus, um mich in ein dunkles Loch zu stürzen, doch zu meinem Glück war Robin da, der mir ein Seil zuwarf, um mich wieder zu befreien.
Ohne ihn, wäre ich dort wohl gefangen geblieben. Für eine ganze Weile, doch das war nicht passiert.
Stattdessen hatten wir uns wieder auf den Weg zurück in die Pension gemacht und hatten die Fahrräder wieder dort abgestellt, wo wir sie genommen hatten.
Ich hatte eigentlich vorgehabt mit Robin in ein Restaurant zu gehen, aber stattdessen schlug er vor, dass er uns etwas Brot kaufen geht. Ich nahm dankend an und legte mich ins Bett bis er zurückkam, um zu versuchen mit den vergangenen Stunden klarzukommen.
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Greatest Love but Greatest Fear
Teen FictionElles Leben hatte sich von einem auf den anderen Tag geändert. Nichts war mehr gewesen wie bisher. Sie hatte alles verloren. Doch dieser Tag war nun schon drei Jahre her und trotzdem war sie noch immer nicht bereit loszulassen. Aber ihr Umzug in da...