Ich hatte den Umschlag auf das Regal gelegt und dabei fiel mein Blick auf die große weiße Kerze, die dort stand.
„Was ist los?", fragte Robin und trat hinter mich.
Ich legte den Kopf schief und fragte mich selbst, was gerade meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Was an der Kerze war mir gerade aufgefallen? Es war doch nur eine Kerze oder nicht?
Unschlüssig nahm ich die Kerze und drehte sie einmal in der Hand. Sie hatte nichts Ungewöhnliches, doch als ich sie wieder zurückstellte entdeckte ich, worum es mir gegangen war. Die Kerze hatte auf einer runden Glasscheibe gestanden, aber diese Scheibe war nicht leer. Man hatte sie bemalt.
Ein Bild meines Vaters tauchte in meinem Kopf auf, doch ich war mir nicht sicher, ob es sich wirklich um eine Erinnerung handelte.
Es war keine detailreiche Zeichnung. Sie zeigte ein Boot, zwei Reihen Zinnen, wie von einer mittelalterlichen Burg und darunter zwei Quadrate, die jeweils eine Kanone enthielten. Und das auffälligste an dem Bild war natürlich das rote Kreuz.
„Ist das eine Schatzkarte?"
„Sieht ganz so aus, oder?" Ein Lächeln wanderte in mein Gesicht. „Und ich glaube ich weiß, was der Schatz ist."
„Und verstehst du den Weg?"
„Vielleicht.", antwortete ich ehrlich und lief nach draußen in den Garten. Ich öffnete den kleinen Schuppen und holte das gebastelte Fernrohr raus.
„Was hast du denn damit vor?"
„Wenn das wirklich funktioniert...", murmelte ich und versuchte die Glasscheibe auf die eine Seite des Rohres zu stecken. Es passte perfekt. Mein Lächeln wurde größer.
Robin hob die Augenbrauen. „Nicht schlecht."
„Wenn das wirklich mein Vater gemacht hat und das muss so gewesen sein, denn seine Gute-Nacht-Geschichten handelten immer von Piraten, dann muss das von seinem Lieblingsplatz aus betrachtet werden."
„Welcher ist sein Lieblingsplatz?"
Ich zeigte zurück zum Haus auf die Hollywoodschaukel. Wir liefen hin und als wir uns setzten, knarzte das Holz so laut, dass wir augenblicklich wieder aufsprangen, aus Angst, dass sie unter unserem Gewicht nachgeben würde.
„Vielleicht bleiben wir lieber stehen..."
„Ist wahrscheinlich besser...", stimmte ich zu und hob das Fernrohr an mein Auge. Ich sah die Zeichnung, genauso wie die dahinterliegende Umgebung. Das Bild war in grün und schwarz gehalten.
Das Schiff war grün, nur der Mast war schwarz. Die Quadrate waren auch schwarz, aber sowohl die Zinnen als auch die Kanonen waren grün.
„Wie funktioniert das jetzt?"
„Das Bild muss mit der Umgebung verschmelzen.", erklärte ich und schaute mich um. „So etwas ähnliches kam in manchen seiner Geschichten vor."
„Was entdeckt?"
Ich nickte. Der Mast lag über dem hohen Baumstamm der Nachbarn. Die Quadrate lagen genau über ihren Fenstern, während die Zinnen mit der oberen und der unteren Kante des Daches übereinstimmten. „Burg und Schiff."
Robin nahm das Fernrohr, was ich ihm hinhielt und schaute selbst durch. „Nicht schlecht."
Lachend sprang ich zurück in den Garten, ungefähr an die Stelle, wo sich das Kreuz befunden hatte. „Wo muss ich hin?"
„Ein Stück weiter nach rechts.", wies er mich an.
„Dein rechts oder mein rechts?"
„Deins."
Ich folgte seiner Anweisung.
„Noch ein Schritt nach hinten."
„So?"
„Ja, genau da!"
„Bringst du die Schaufel aus dem Schuppen?", bat ich ihn. Mein Herz schlug schnell, doch dieses Mal aus Aufregung.
Schnell kam er mit einer Schaufel zurück und ich begann sofort damit zu graben. Ich musste nicht tief graben, bis die Schaufel gegen etwas hartes stieß.
„Du hast es gefunden!", rief er und schien genauso aufgeregt wie ich.
Ich vergrößerte das Loch, bis ich die metallische Kiste mit Robins Hilfe nach draußen heben konnte.
Es war eine recht große Kiste, die stellenweise schon von Rost überzogen war.
„Was ist da drinnen?"
„Einiges, wenn ich mit meiner Vermutung richtig liege."
Gemeinsam trugen wir die Kiste ins Wohnzimmer und setzten uns um sie herum auf den Boden.
Ich konnte nicht aufhören zu lächeln, aber trotzdem hatte ich Angst davor sie zu öffnen.
Was wenn ich falsch lag? Was wenn sie doch nicht das enthielt, was ich dachte?
Oder schlimmer noch: Was wenn ich richtig lag? Würde ich es schaffen? Könnte ich mit dem Inhalt umgehen? Würde ich nicht zusammenbrechen, wenn ich all das sah?
War ich wirklich bereit dafür?
„Du weißt also, worum es sich handelt?"
„Ich habe eine Ahnung und die Tatsache, dass das eben funktioniert hat... mit der Schatzsuche... bekräftigt meine Vermutung."
„Erzählst du es mir?"
„Ich weiß nicht, ob ich es erzählen soll oder wir es uns erst anschauen sollen..."
„Die Entscheidung liegt bei dir."
„Das macht es nicht einfacher." Ich legte meine zitternde Hand auf den Deckel. Langsam hatte ich das Gefühl, dass Zittern zu meinem Normalzustand wurde. Ich war ständig am Zittern, ohne dass mir kalt war. Was wollte mein Körper damit bezwecken? Helfen tat es nicht. Eher im Gegenteil. Es machte die Bewegungen nur schwerer. Trotzdem öffnete ich den Verschluss und klappte den Deckel der Kiste auf.
Es war genau das, was ich gedacht hatte.
DU LIEST GERADE
Greatest Love but Greatest Fear
Novela JuvenilElles Leben hatte sich von einem auf den anderen Tag geändert. Nichts war mehr gewesen wie bisher. Sie hatte alles verloren. Doch dieser Tag war nun schon drei Jahre her und trotzdem war sie noch immer nicht bereit loszulassen. Aber ihr Umzug in da...