„And here we are again.", murmelte ich und atmete tief durch. Unwissend, was ich sonst machen konnte, denn nach oben zu gehen würde ich noch nicht schaffen. Stattdessen holte ich die Putzsachen aus der Kammer neben der Küche und begann damit das Haus auf Vordermann zu bringen.
Robin half mir dabei, auch wenn ich ihm sagte, dass das nicht notwendig sei. Er ließ sich nicht davon abbringen.
Immer wieder blieb ich vor einem Gegenstand stehen und schwelgte in Erinnerungen. Es war eine Mischung aus grauenhaftem Schmerz und gutem Gefühl. Jede Erinnerung sorgte dafür, dass sich mein Magen zusammenzog, mein Herz mit einem Messer bearbeitet und mein Hirn zu explodieren schien. Doch zur selben Zeit breitete sich ein wohliges Gefühl in meinem Körper aus, weil ich endlich vermehrt an die schönen Momente mit meiner Familie dachte. Momente, von denen es so viele gab und denen ich dennoch viel zu wenig Beachtung geschenkt hatte.
Ich hatte mich die letzten Jahre immer auf das negative konzentriert. Das hätte ich nicht tun sollen. Allerdings war es ja auch nie eine bewusste Entscheidung gewesen. Ich hätte auch vor einem Jahr gesagt, dass es wohl nicht gesund war, wie sehr ich mich in den Schmerz hatte saugen lassen. Ich wusste es, aber ich konnte nicht anders. Ich hatte keinen Ausweg gesehen. Es war nie etwas gewesen, was ich gewollt hatte, sondern etwas was unvermeidbar schien. Vielleicht war es das gar nicht. Vielleicht schon. Doch im Endeffekt war es jetzt auch egal.
Das Stockwerk sah schon um einiges besser aus, als ich mich erschöpft auf den Klavierhocker setzte.
„Alles gut?", fragte Robin leise und setzte sich neben mich.
Ich nickte und ließ meinen Kopf auf seine Schulter sinken. Schweigend blieben wir einige Minuten lang so sitzen.
Ich strich über den Deckel, der die Tasten des Klaviers schützte. Robin folgte mit seinem Blick der Bewegung. „Darf ich?"
Stirnrunzelnd sah ich ihn an. „Was denn?"
Er klappte den Deckel auf und strich über die Tasten. „Du kannst auch nein sagen."
„Ach, was. Nur zu.", hörte ich mich selbst sagen, doch war ein Teil von mir noch zu überrascht, dass Robin scheinbar Klavier spielte.
Er drückte erst einige der Tasten, was zumindest in meinen Augen willkürlich aussah, doch dann begann er das Lied. Nach nur wenigen Tönen erkannte ich „River flows in you". Ich mochte das Stück. Auch Manu hatte es ab und zu mal gespielt, aber das Stück, was er wohl am meisten gespielt hat, weil er es unbedingt perfekt beherrschen wollte, war die „Fantaisie-Impromptu" von Chopin gewesen.
Er hatte das Stück rauf unter runter gespielt und in meinen Ohren klang es wunderschön und perfekt, doch er hatte immer wieder etwas an seinem Spiel auszusetzen. Er war nie zufrieden. Ich selbst hatte den Fehler nie erkennen können, selbst wenn er versuchte es mir zu erklären. Ich konnte den Unterschied nicht hören. Doch er scheinbar schon.
Für mich aber war er ein großartiger Klavierspieler gewesen.
Jetzt aber war nicht Manu, derjenige der spielte, sondern Robin. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich einzig allein auf die Musik.
Als er fertig war klatschte ich in die Hände. „Ich wusste gar nicht, dass du spielen kannst."
„Kann ich auch nicht."
Lachend verdrehte ich die Augen.
„Wirklich nicht!"
„Ach und was genau war das dann eben? Habe ich mir nur eingebildet, dass du River flows in you gespielt hast?"
„Du hast es erkannt?"
„Ja, aber jetzt lenk nicht ab." Ich verschränkte die Arme. „Du kannst ganz offensichtlich spielen."
Er grinste mich an. „Ich hab mich nicht genau genug ausgedrückt. Ich kann kein Klavier spielen. Ich hatte nie Unterricht, habe es nie gelernt. Ich kann nicht einmal Noten lesen. Ich kann also wirklich kein Klavier spielen."
„Dann wiederhole ich die Frage: was war das dann eben?"
„Ich kann kein Klavier spielen.", wiederholte er schulterzuckend. „Ich kann nur das eine Lied."
Ich runzelte die Stirn. „Wie jetzt?"
„Ich kann nicht mal alle meine Entchen spielen, wirklich nicht. Du könntest mir kein anderes Lied nennen, damit ich es spiele. Es ist nur dieses eine. Lyca hat es geliebt und ich hatte die Idee gehabt dieses Lied einzustudieren, um es ihr an ihrem Geburtstag vorzuspielen. Stundenlang habe ich es geübt. Ich hatte ein Video gefunden Im Internet, aber ich hatte ja überhaupt keine Grundlagen. Es hat eine ganze Weile gedauert, aber am Ende hat es funktioniert. Ich habe mir das eine Stück selbst beigebracht und konnte es Lyca vorspielen."
„Das ist so schön!"
„Lyca hat sich so sehr gefreut." Seine Augen glänzten, während er sprach. „Die Mühe hatte sich gelohnt, aber auf jedem Fall ist das der Grund, warum ich zwar gerade ein Stück vorgespielt habe, aber die Aussage, dass ich kein Klavier spielen kann, dennoch seine Richtigkeit hat."
„Ja, gut, ich verstehe." Ich lächelte ihn an. „Trotzdem muss ich sagen, dass ich das wirklich beeindruckend finde."
„Ich dachte eigentlich nicht, dass ich es noch hinbekomme. Ich hab seit Jahren nicht mehr gespielt."
„Scheinbar ist es dir ins Blut übergegangen."
„Ja vielleicht, wobei ich sonst nicht sonderlich viel mit Musik am Hut habe. Ich gehöre wohl zu den unmusikalischsten Leuten der Welt!"
„Es kann nicht schlimmer sein als bei mir. Die musikalischen Talente hat alle mein Bruder bekommen. Für mich war da nichts mehr übrig geblieben."
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Greatest Love but Greatest Fear
Teen FictionElles Leben hatte sich von einem auf den anderen Tag geändert. Nichts war mehr gewesen wie bisher. Sie hatte alles verloren. Doch dieser Tag war nun schon drei Jahre her und trotzdem war sie noch immer nicht bereit loszulassen. Aber ihr Umzug in da...