„Die meisten denken, er sei traurig, würde aber versuchen glücklich auszusehen."
„Sie denken, dass das Lachen gestellt ist?"
„Ja. Ich kann deutlich sehen, dass es echt ist. So wie Sie, wie es scheint, doch viele denken noch immer, dass es nur ein Gefühl geben kann. Da frage ich mich häufig, ob diese Menschen es selbst noch nie erlebt haben. Kann es sein, dass die meisten Menschen tatsächlich ein Gefühl nach dem nächsten Verspüren? Ich dachte früher immer, dass das ganz normal sei, aber vielleicht ist es das nicht. Allein bin ich damit aber auch nicht, oder? Sie wissen, wie das ist."
„Natürlich." Ich schluckte. „Sehr gut sogar."
„Das tut mir leid."
Ich nickte. „Wie haben Sie das gemacht?"
„Mein Name ist Marius." Er streckte mir die Hand hin.
„Elle."
„Freut mich."
„Wie haben Sie- Du das gemacht? Diese Gefühle einzufangen?"
„Es sind alles Momentaufnahmen. Keines davon war geplant. Ich bin durch verschiedene Länder gereist und habe fotografiert. Jedes Mal, wenn ich jemanden gesehen habe, der mich inspiriert hat, habe ich die Kamera draufgehalten und den Moment eingefangen. Im Anschluss bin ich natürlich zu den Menschen hingegangen und erkundigte mich zum einen darüber, ob ich etwas für diese Person tun kann, insbesondere wenn es um Gefühle wie Trauer geht, aber auch über die Geschichte hinter den Gefühlen, falls sie mir das erzählen wollten und zeigte ihnen das Foto, das ich gemacht hatte. Jedes Foto, dass nicht gemocht wurde, wurde augenblicklich gelöscht. Auch von den Leuten, die gar nicht erst mit mir sprechen wollten. Es blieben nur die Fotos auf der Speicherkarte, die von der Person drauf, aktiv akzeptiert wurden. Manche waren ganz verblüfft über die Emotionen, die abgebildet waren. Es ist manchmal einfacher zu erkennen, was eine Person fühlt als sie selbst identifizieren zu können."
Ich nickte zustimmend.
„Dieser Mann und seine Freundin hatten sich getrennt, nachdem er für sein Studium auf die andere Seite des Landes gezogen war. Er hatte Semesterferien und kam nach einem Jahr zurück in die Heimatstadt. Er hatte gemerkt, dass er sie noch immer liebte und nicht verlieren wollte. Er war es zwar gewesen, der sich gegen eine Fernbeziehung geäußert hatte, aber wollte es nun doch versuchen. Er hatte also Blumen gekauft und wollte zu ihr, doch als er sie sah, war sie nicht allein. Sie war glücklich. Glücklich mit einem anderen Mann... In seinen Augen siehst du die Trauer und den Schmerz, den er spürt, weil die Beziehung zu Ende ist, weil er einen Fehler begangen hatte. Zur selben Zeit jedoch ist er glücklich, weil er nur das Beste für sie will. Wenn sie glücklich mit einer anderen Beziehung ist, dann kann er sich für sie freuen, weil er ihr nie gewünscht hätte, dass sie ihn genauso vermisst, hatte in den letzten Monaten, wie er sie."
„Das ist wunderschön.", flüsterte ich.
„Ja, das finde ich auch."
Es verstrichen einige Atemzüge des Schweigens.
„Kann ich denn dein Buch hier auch kaufen?"
„Natürlich, wenn du das haben möchtest."
„Ich würde gerne mehr Geschichten hinter den Fotos erfahren, aber tatsächlich ist das Buch glaub ich das perfekte Geschenk für einen guten Freund von mir, der am Wochenende Geburtstag hat."
„Interessiert er sich für Fotografie?"
„Ja, er fotografiert selbst und soweit ich das beurteilen kann, auch sehr gut."
„Ja? Hast du vielleicht etwas, was du mir zeigen kannst?"
„Wirklich?", fragte ich verblüfft und wollte gerade mein Handy rausziehen, als ich bemerkte, dass das alte ja kaputt war und ich das neue noch nicht ausgepackt hatte. Ich zeigte auf einen der Computer, die am Rand standen. „Äh, ich könnte dir sein Instagram zeigen, wenn du das wirklich willst, aber fühl dich nicht verpflichtet..."
„Es interessiert mich wirklich.", versicherte er und folgte mir an den Bildschirm.
Es dauerte nicht lang bis ich Olis Profil öffnete und ihn durch die Fotos scrollen ließ.
Immer wieder nickte er und murmelte etwas von Licht, Kontrast und Kompositionen. „Er hat einen fantastischen Blick auf die Welt. Großartig!"
„Wenn du das sagst, heißt das eindeutig mehr, als wenn ich es sage."
Während Marius sich die Fotos noch etwas genauer ansah, kaufte ich ein Exemplar seines Buches.
„Oli heißt er?", fragte er und öffnete die Kappe seines Stiftes, während er das Buch aufschlug.
„Ja, genau."
„Lieber Oli,
Mit jedem Foto zeigt der Fotograf seine eigene Sicht auf die Welt und sichert einen Augenblick für die Ewigkeit. Ich sehe großes Potential in deiner Fotografie und hoffe, dass du nie die Freude daran verlierst!
Marius Koch"
„Das ist großartig!", rief ich, nachdem ich die Widmung gelesen hatte.
„Hast du noch eine Minute?"
„Klar.", antwortete ich und sah ihm dabei zu, wie er einige Zeilen auf ein Blatt Papier schrieb und es in einen Umschlag steckte und mir reichte.
„Das kannst du ihm auch noch geben. Eine kleine Geburtstagsüberraschung."
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Greatest Love but Greatest Fear
Teen FictionElles Leben hatte sich von einem auf den anderen Tag geändert. Nichts war mehr gewesen wie bisher. Sie hatte alles verloren. Doch dieser Tag war nun schon drei Jahre her und trotzdem war sie noch immer nicht bereit loszulassen. Aber ihr Umzug in da...