Wir hatten Diego zurückgebracht und uns eine Weile mit dem Besitzer unterhalten. Er erkannte mich sofort, ohne den geringsten Zweifel zu haben, dass ich es war. Auch wenn er wirklich nett war, war ich froh als wir wieder gingen, und zwar nicht, weil ich mich unwohl fühlte, sondern weil ich mir Sorgen machte, dass ich es mir anders überlegen würde. Dass ich mein Vorhaben nicht in die Tat umsetzte.
Gleichzeitig traute ich mich nicht Robin schon davon zu erzählen, bevor wir nicht alle Aufgaben abgehakt hatten. Nachdem wir den Hund zurückgebracht hatten, brachten wir auch das Zelt und die Schlafsäcke zur Pension. Das Paar war nicht da, aber wir unterhielten uns eine Weile mit der Hotelbesitzerin, die wissen wollte, wie wir den Wanderweg fanden.
Jetzt aber waren wir zurück in meinem alten Haus. Wir hatten unser Gepäck ins Wohnzimmer gelegt und mit einer Tasse Kaffee setzte ich mich auf die Veranda vor dem Haus. Robin setzte sich neben mich.
„Du hast ja gefragt, ob es noch Orte gibt...", begann ich leise.
„Orte?"
„Orte, die noch auf meiner Liste stehen. Orte, die ich wohl noch aufsuchen sollte, solange ich hier bin. In der Hoffnung, dass es keine offenen... Probleme? Keine Ahnung... Damit ich eben alles besucht habe."
„Oh, okay. Ja."
„Zu einem will ich heute."
Als ich nicht weitersprach, fragte Robin nach: „Und wohin willst du gehen?"
Ich nahm einen Schluck von meinem Kaffee. Der Geschmack, genauso wie der Geruch und Robins Nähe schenkten mir die Kraft und die Zuversicht den Ort auszusprechen: „Ich möchte zum Schwimmbad. Da wo ich trainiert habe."
„Dann gehen wir da hin."
Lachend schüttelte ich den Kopf.
„Was ist?"
„So wie es du es sagst, klingt es immer als wäre es selbstverständlich, dass du mir überall hin folgst und dass es so einfach sei." Ich lächelte ihn an. „Danke."
Er strich mir über den Arm. „Ich folge dir bis ans Ende der Welt und darüber hinaus."
Ich stieß ihn von der Seite an. „Du bist so ein Übertreiber!"
„Das magst du doch gerade an mir!"
„Das witzige es, dass das zwar jetzt stimmt, aber es auch genau das war, was ich anfangs unfassbar nervtötend an dir fand."
„Dann kann ich mich ja sehr glücklich schätzen, dass ich dich doch noch überzeugen konnte."
„Hat ja lang genug gedauert, dass ich dich zu schätzen gelernt habe."
„Besser spät als nie."
Grinsend nahm ich den letzten Schluck Kaffee und legte meinen Kopf auf seiner Schulter ab. „Da kann ich dir nicht widersprechen."
„Besser ist es."
Seufzend stand ich nach einigen Atemzügen auf. „Dann lass uns los gehen. Was du heute kannst besorgen, dass verschiebe nicht auf morgen."
„Das ist die richtige Einstellung!" Robin sprang, mit wesentlich mehr Elan als ich zuvor, auf. „Auf geht's!"
Ich brachte unsere beiden Tassen rein und holten die Fahrräder aus der Garage. Ich nahm mein altes und Robin nahm das von Manu.
Der Weg bis zum Schwimmbad war nicht weit und während mein Kopf dabei war sich auf das bevorstehende vorzubereiten, hatte mein Körper wie automatisiert begonnen den richtigen Weg einzuschlagen. Ich war diese Strecke so oft gefahren, es sollte mich nicht wundern, dass die Erinnerung in jedem Muskel meines Körpers eingespeichert war.
Viel zu schnell waren wir da und ich ließ mir absichtlich Zeit, um abzusteigen und die Fahrräder anzuschließen.
Das seltsame war allerdings, dass ich mich nicht so sehr fürchtete, wie ich erwartet hatte. Eigentlich war ich bereit. Ich war bereit das Schwimmbad zu betreten. Natürlich nicht das Wasser, aber dort reinzugehen, wo ich all die Jahre über trainiert hatte, dafür war ich bereit. Das Problem war, dass ich es nicht glauben konnte. Ich fühlte mich bereit, aber ich hatte auch das Gefühl, dass es unmöglich sein konnte, dass ich bereit war. Ein Teil von mir war sich absolut sicher, dass ich mir das nur einbildete. Ich konnte nicht bereit sein. Das war nicht möglich. Dieser Ort war mit so vielen Erinnerungen verbunden. Erinnerungen, die zum schlimmsten Tag meines Lebens geführt hatten. Dieser Ort war dafür verantwortlich, dass wir an diesem Tag über die Brücken gefahren waren.
Ich konnte unmöglich bereit sein dort hineinzugehen.
Das war unmöglich. Ich würde dort rein gehen und direkt zusammenbrechen. Ich würde keinen Meter weit kommen.
Aber tief in mir wusste ich, dass ich bereit war. Ich war bereit, auch wenn mein Kopf das als unmöglich betrachtete. Vielleicht war es auch unmöglich, aber Wunder geschahen.
Welchen Zweck hatte es hier zu stehen zu warten. Ich würde das durchziehen. Ob ich bereit war oder nicht, machte keinen Unterschied. Ich würde das durchziehen. Heute. Jetzt.
Mit geschlossenen Augen nahm ich einen letzten tiefen Atemzug, bevor ich auf die Tür zutrat. Ich zögerte nicht, sondern stieß sie sofort auf.
Für einen Moment überraschte mich der starke Geruch nach Chlor. Nicht der Geruch an sich, schließlich war das der normalste Geruch der Welt, wenn man ein Schwimmbad betrat, es war vielmehr die Tatsache, dass ich kein Problem mehr mit dem Geruch hatte.
Er löste keine eiskalten Schauer mehr aus. Er raubte mir nicht den Atem. Er sorgte nicht dafür, dass mein Herz wie wild pochte.
Nein, stattdessen empfand ich den vertrauten Geruch sogar fast wie eine tröstliche Umarmung. So wie es früher gewesen war. Früher als der Geruch nach Chlor für mich der Geruch nach Zuhause gewesen war.
Froh über diese Entwicklung und trotzdem ängstlich, dass sich das gleich in eine absolute Katastrophe umkehren konnte, trat ich zu der Trophäenvitrine im Eingangsbereich.
Robin stellte sich hinter mich. „Noch mehr?"
Ich zuckte mit den Schultern und betrachtete die Medaillen und Pokale, die meinen Namen trugen. Viele hatte ich mitgenommen, aber immer wieder hatte ich einige dem Verein überlassen. „Ich war gut..."
„Aber wirklich verdammt gut! Ich mein, hallo, da steht fast überall Elena Garcia drauf! Das ist nicht einfach gut, das ist unfassbar gut!"
„Sie war ein Ausnahmetalent. Es bricht mir noch immer das Herz, wenn ich daran denke."
Mein Herz setzte für einen Schlag aus. Gänsehaut breitete sich auf meiner Haut aus. Ich schluckte und dann, ganz langsam, drehte ich mich zu ihm um.
Ich hatte gewusst, wen ich anblicken würde. Ich hatte ganz genau gewusst, dass dort ein grauhaariger Mann stehen würde, mit breiten Schultern. Ein Mann, der immer Badeshorts zu tragen schien und dazu ein weißes Basic Shirt. Ich hatte ganz genau gewusst, dass ich Heiner dort sehen würde, wenn ich mich umdrehte. Doch er hatte nicht geahnt, dass ich diejenige war, die sich umdrehte.
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Greatest Love but Greatest Fear
Teen FictionElles Leben hatte sich von einem auf den anderen Tag geändert. Nichts war mehr gewesen wie bisher. Sie hatte alles verloren. Doch dieser Tag war nun schon drei Jahre her und trotzdem war sie noch immer nicht bereit loszulassen. Aber ihr Umzug in da...