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Einige Atemzüge lang blieb sie hinter mir stehen, doch dann setzte sie sich doch neben mich auf den Boden, aber das änderte nichts an unserem Schweigen.

Mein Zeitgefühl hatte ich schon vor langer Zeit verloren, deswegen war es unmöglich zu sagen, wie lange wir so dasaßen. Gefühlt waren es Stunden, doch rational betrachtet wusste ich, dass das unmöglich sein konnte.

„Dein Freund scheint echt toll zu sein. Seit wann seid ihr zusammen?", unterbrach sie nun doch die Stille.

„Ist er nicht."

„Er ist nicht toll? Aber warum-"

„Nein," seufzend schüttelte ich den Kopf. „Er ist toll. Er ist großartig, aber er ist nicht mein Freund."

„Oh." Sie runzelte die Stirn. „Warum nicht?"

„Was?"

„Offensichtlich magst du ihn und genauso offensichtlich mag er dich."

„Man kann sich auch mögen, ohne in einer Beziehung zu sein. In einer Freundschaft mag man sich ebenfalls. Es muss nicht immer gleich eine Beziehung sein."

„Natürlich. Es muss nicht immer auf Sex hinauslaufen oder auf Liebe, aber lieg ich denn falsch? Willst du nicht mehr?"

Ich schluckte und dachte an die Nacht zurück, die schon so lange zurückzuliegen schien, obwohl es nicht mal eine halbe Woche her war. „Keine Ahnung. Es ist kompliziert..."

„Willst du darüber reden?"

Früher hatte sie zu den Personen gehört, denen ich am meisten vertraut hatte, aber die Zeiten hatten sich verändert. Wir kannten uns quasi nicht mehr. So fühlte es sich zwar nicht an, aber ich wusste, dass ich mich in den vergangenen Jahren stark verändert hatte und wenn sie sich nur ansatzweise so sehr verändert hatte wie ich, dann waren wir im Grunde Fremde. „Nein... Ich könnte es sowieso nicht in Worte fassen."

„In Ordnung." Sie seufzte. „Das mit eben tut mir wirklich leid. Es ist ganz dir überlassen, was du erzählen möchtest und was nicht. Ich hätte nicht so forsch sein sollen. Es tut mir wirklich sehr leid."

„Schon okay." War es nicht und irgendwie doch. Es war scheiße, aber ich verstand es auch. Es war doch natürlich, dass sie wissen wollten, wie es um mich stand, oder nicht? Andererseits wieso hatten sie das dann damals getan? Doch das war ein anderes Thema. „Es ist nicht deine Schuld, aber ich kann das einfach nicht."

„Bist du... deswegen gegangen?"

Ich wusste, dass sie nicht meinte, dass ich gerade in den Garten gerannt war. Ihr ging es um meinen Weggang von Hofond. „Ja..." Trotzdem konnte ich nicht umhin zu denken, dass sie genauso wenig da gewesen war.

Wieder legte sich Stille zwischen uns und abermals wurde die Stille von jemanden gebrochen, der zu uns kam. „Sorry, ich will euch nicht stören... Deine Eltern wollten aber wissen, ob sie mit dem Grillen beginnen sollen oder lieber noch etwas warten..."

Ich zuckte mit den Schultern, während Lisa aufstand. „Ich kümmere mich darum."

Robin setzte sich sogleich zu mir und legte wieder seinen Arm um mich. „Alles okay?"

Ich sah auf das Wasser. Es war trüb und doch wunderschön. Es war schon paradox, wie sehr mich die Nähe des Wassers beruhigen konnte, wenn doch die Berührung mit eben diesem mir so schmerzte. „Ich weiß nicht, ob ich bleiben kann."

„Dann gehen wir.", kam augenblicklich seine Antwort.

„Ich weiß auch nicht, ob ich gehen kann."

„Dann warten wir, bis du bereit bist eine Entscheidung zu treffen."

Ich nickte.

„Du bedeutest ihnen sehr viel. Das sieht man so deutlich."

Ich schloss die Augen und ließ meinen Kopf wieder auf seine Schulter senken. Ich hatte nicht vorgehabt darüber zu sprechen, aber in diesem Moment fühlte es sich richtig an. „Ich hätte es nie zugegeben, aber damals... als meine Familie starb... Ich konnte nicht zur Beerdigung gehen. Ich konnte einfach nicht hin. Ich wollte keine mitleidigen Blicke, keine Beileidsbekundigungen... Ich wollte, ich konnte das nicht. Aber ich habe Briefe bekommen, viele Briefe... Der Anwalt, von dem ich dir erzählt hatte, hatte sie mir gegeben. Ich habe sie weggeschmissen. Jeden einzelnen davon. Ich habe sie nie gelesen. Sie nicht einmal geöffnet. Manche würden sagen, dass das ein Fehler gewesen war und ich bin mir sicher, dass diese Menschen mir nur etwas Gutes wollten... Ich habe es damals nicht einmal mir selbst gegenüber eingestanden... wirklich begriffen habe ich es erst hier... Es gab einen Brief, einen einzigen, den ich gerne gesehen hätte. Einen Brief, denn ich nicht weggeschmissen hätte. Einen, den ich geöffnet und gelesen hätte, doch eben dieser Brief kam niemals. Sie haben sich nicht gemeldet..."

„Elle?" Seine Stimme klang sanft und doch wusste ich, dass er etwas ernstes zu sagen hatte. „Sie wussten es nicht... Nicht sofort jedenfalls..."

„Was?" Ich hob meinen Kopf und starrte ihn an. „Wie meinst du das?"

„Sie haben erst Monate später von dem Unfall erfahren und da warst du schon lange weg. Sie meinten, sie hätten dich gesucht, aber sie konnten dich nicht finden..."

„Oh..." Stimmte das? Hatten sie es wirklich erst so spät erfahren? Verdammt. Wenn ich mir vorstellte, erst Monate später zu erfahren, dass meine besten Freunde tot waren... Scheiße.

„Vielleicht solltest du mit ihnen reden..."

Ich nickte. Er hatte recht. 

Greatest Love but Greatest FearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt