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„Ein bisschen höher.", hörte ich plötzlich Robin hinter mir sagen. Er hatte sich bis eben um das Feuer gekümmert und ich hatte nicht bemerkt, dass er zu mir gekommen war.

Schulterzuckend, holte ich mehr Schwung und schaukelte so etwas höher. „Besser?"

„Perfekt.", antwortete er und als ich mich zu ihm umdrehte, kniete er hinter mir auf dem Boden und machte ein Foto. „Schau nach vorne."

„Was hast du vor?", fragte ich, aber folgte seiner Anweisung.

„Das kannst du dir gleich ansehen.", antwortete er und ich konnte sein Grinsen förmlich in seiner Stimme hören.

Es stellte sich heraus, dass er das Foto aus einem solchen Winkel gemacht hat, dass man den Boden nicht sehen konnte. Man konnte nur den beginnenden Sonnenuntergang sehen und mich, schaukelnd, als Silhouette. „Wow, das sieht echt cool aus!"

„Oli hat mir mal solche Fotos gezeigt."

„Hast du aber trotzdem gut umgesetzt! Willst du auch?"

„Ne, alles gut." Er griff nach meiner Hand und führte mich zurück ans Feuer. „Das Essen braucht noch ein bisschen."

Ich setzte mich vor ihn auf den Boden und sofort schlang er seine Arme um mich. So beobachteten wir wie die untergehende Sonne alle rot färbte.

„Es hat zwar echt komisch geklungen, aber ich bin wirklich froh, dass sie uns das angeboten haben."

„Aber es klang zwischendurch echt so als hätten sie... nunja..." Lachend schüttelte ich den Kopf. „Andere Sachen im Sinn."

„Absolut.", stimmte er mir zu. „Ich war schon am überlegen, wie wir da fliehen können."

„Aber du hast recht. Ich bin froh, dass wir jetzt hier sind. Es ist wunderschön."

„Was hatte sie gesagt? Spontane Aktionen werden oft zu unvergesslichen Erfahrungen?"

„Ja, irgendwas in die Richtung war es und sie hatte wohl recht. Denn diesen Abend will ich ganz sicher nicht mehr vergessen."

„Ich werde ihn auf keinen Fall vergessen.", flüsterte Robin nah an meinem Ohr. „Ich werde den ganzen Urlaub nie vergessen."

„Ich versteh immer noch nicht, warum du so tust, als würdest du das hier so sehr genießen.", murmelte ich.

„Weil ich es tue." Sein Atem kitzelte an meinem Ohr. „Ich genieße jede Sekunde, die ich mit dir verbringe."

Ich schloss die Augen. Was sollte ich darauf erwidern? Dass ich es auch genoss? Das tat ich. Sehr sogar. Dass ich zwar die meiste Zeit, die wir in Hofond gewesen waren durch die schlimmsten Erinnerungen gequält wurde, aber dass ich seine Anwesenheit trotzdem genoss? Denn so war es.

Doch noch bevor ich mich entscheiden konnte, etwas in diese Richtung zu sagen, sagte er: „Das Essen müsste fertig sein. Ich hole es."

Ich lehnte mich nach vorne, um ihn aufstehen zu lassen und rutschte anschließend ein Stück zurück, um mich gegen den Baumstamm zu lehnen, wie er es gerade noch getan hatte.

Er setzte sich neben mich und reichte mir einen Teller.

„Danke." Ich lächelte ihn kurz an und begann zu essen. Es schmeckte gut. Es war nichts Großartiges, aber es schmeckte. „Warum denkst du bieten sie diesen Platz zum Zelten an? Sie haben sogar Sanitäranlagen und sie verlangen kein Cent dafür. Die haben also nur Verluste damit... Warum tun sie das?"

„In der Hütte hängt ein Brief, in dem der Besitzer das erklärt."

„Ach ja?" Fragend hob ich die Augenbrauen. „Und warum?"

„Er erzählt, dass er, als er jung war, viel gereist ist und dabei immer wieder Einladungen erhalten hatte bei jemanden im Haus zu übernachten, aber noch viel häufiger wurde vorgeschlagen, dass er im Garten zelten konnte. Er erzählte, wie traurig er es fand, als es mit jedem Jahr immer weniger Menschen gab, die bereit waren, jemanden aufzunehmen. In einem der letzten Orte, an denen er eingeladen wurde, campen zu dürfen war in einem kleinen Dorf in Südamerika. Ich glaub da stand Argentinien, aber bin mir nicht mehr ganz sicher. Auf jeden Fall hat er dort, in diesem Garten, seine Frau kennengelernt, die ebenfalls eingeladen worden war dort zu zelten."

„Wenn das nicht eine tolle Geschichte ist!"

Robin nickte. „Als sie dann geheiratet haben, beschlossen sie Reisende, die sie begegneten, anzubieten bei ihnen zu übernachten, solange es möglich war. Das taten sie auch, aber sie mussten feststellen, dass es heutzutage auch viele Leute gibt, die nicht einfach so bei Fremden im Garten oder gar im Haus übernachten wollen. Dass sie das verstehen könnten, aber es trotzdem schade fanden, dass die Erfahrungen es nötig machen neuen Menschen mit Vorsicht zu begegnen. Weil sie aber trotzdem dafür sorgen wollten, dass Reisende eine Möglichkeit hatten, kostenlos unterzukommen, kauften sie an verschiedenen Orten, wo sie selbst gerne wandern gehen, kleinere Gelände, um Wanderern eine kostenlose Übernachtungsmöglichkeit zu bieten. Hin und wieder übernachten sie auch dort und erfreuen sich an den netten Unterhaltungen mit denen, die da sind."

„Das ist ja richtig süß!"

„Finde ich auch. Und er hat auch recht. Wir begegnenneuen Menschen mit Vorsicht. Gehen vom Schlimmsten aus. Urteilen zu schnell."Er zuckte mit den Schultern. „Ich mein, ich sag nicht, dass wir das nicht sollten. Es gibt viele Menschen, die tatsächlich etwas Böses wollen, aber esgibt noch mehr Menschen, die nichts Böses wollen und diese Gelegenheiten verpassen wir, aus Angst an eine Person zu geraten, die es eben nicht gutmeint. Also verdammen wir uns selbst dazu, viele tolle Erfahrungen und großartige Menschen gar nicht erst kennenzulernen. Das ist verdammt traurig."

Greatest Love but Greatest FearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt