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„Okay und was an der EOC-Was-auch-immer ist so besonders?", wollte Robin als nächstes wissen.

„EOCYSC.", korrigierte Kim ihn augenverdrehend. „Das ist DER Wettbewerb schlecht hin!"

„Ja, das hast du schon gesagt. Meine Frage ist, warum?"

„Das Gewinner Team jedes Landes darf im Sommer zu einem Olympia Trainingscamp.", berichtete Kim. „Da sind ganz viele ehemalige oder aktuelle Olympia Schwimmer, die die Gewinner trainieren. Drei Wochen lang würde man von den Besten lernen! Das ist so cool! Die ganzen Leute, die man da kennenlernen kann und welche Kontakte man knüpfen könnte! Das wäre ein Traum!" Sie seufzte. „Aber wahrscheinlich gewinnen wir sowieso nicht..."

„Wenn du so denkst, sicher nicht." Ich bedachte sie mit einem kritischen Blick. „Du musst da mit etwas mehr Optimismus rangehen, Kim. Es ist gar nicht so unwahrscheinlich zu gewinnen. In ganz Deutschland sind es glaub ich nur 15 Gruppen in der ersten Runde und ihr gehört dazu. Weißt du wie viele Gruppen ihr damit schon ausgestochen habt? Außerdem sind die Gruppen, die bei den EOCYSC mitmachen nicht einmal die Besten. Ihr müsst also gar nicht die beste Gruppe Deutschlands sein. Es hängt von so vielen Faktoren ab, dass man da mitmachen darf. Oft sind die Gruppen gar nicht so gut. Ihr habt eine realistische Chance. Und noch ein paar Monate Zeit, um euer Training zu intensivieren."

Ihre Augen wurden groß und noch bevor sie den Mund öffnete, wusste ich, dass ihr eine Idee gekommen war. Eine Idee, die mir nicht gefallen würde. „Elle?"

„Neeein?"

„Ich hab doch noch gar nichts gesagt!"

„Ich bin mir trotzdem irgendwie sicher, dass meine Antwort nein sein wird..."

„Och bitte! Bitte, bitte, bitte! Für mich?"

„Jetzt müsstest du aber schon mal sagen, um was es sich handelt.", mischte sich Robin ein.

„Allerliebste Elle, würdest du mir, deiner allerliebsten Freundin, den riesigen Gefallen tun, was ich dir auch nie vergessen und aus tiefsten Herzen danken würde, trainieren?"

Mein Unterbewusstsein hatte geahnt, dass es darauf hinauslaufen würde, trotzdem blieb mir für einen Moment die Luft weg. Die Antwort war ganz klar Nein. Ich würde nicht mit ihr trainieren. Das kam gar nicht in Frage. Von Schwimmtraining hielt ich mich fern. Von den Schwimmbädern hielt ich mich fern. Von Schwimmtraining in Schwimmbäder würde ich mich also gleich doppelt fernhalten. Das ging nicht.

Selbst an einem normalen Tag wäre meine Antwort nein gewesen, aber ausgerechnet heute, wo ich die Bilder des Unfalles sowieso nicht aus dem Kopf bekam? Nein. Nope. No. Ne. Einfach nein.

„Bitte, bitte, bitte!"

Ich schluckte. Allein der Gedanke daran ließ mein Herz pochen wie verrückt. Mein Magen verkrampfte und es fühlte sich an als würde man mir die Luftröhre zudrücken. Ich wusste, dass meine Antwort nein heißen würde. Es ging auch gar nicht anders. Trotzdem fiel es mir schwer dieses kurze Wort auszusprechen. Nein. N-e-i-n. Vier Buchstaben. Ein Wort. Nein.

Robins Stimme weckte mich von der Starre: „Ich befürchte das ist ein Nein."

Mir war gar nicht aufgefallen, dass die Zeit verstrichen war. Kim hatte ihre Handflächen aufeinandergelegt und sie flehend vor sich gehalten.

Mein Blick war auf den Boden gerichtet. Unmöglich konnte ich sie dabei ansehen. Ich schluckte. „Nein."

„Aber-"

„Nein.", wiederholte ich mit festerer Stimme. „Es tut mir leid, aber ich kann nicht. Das geht nicht. Wirklich nicht. Ich- Kim... Ich kann das nicht."

„Wieso denn nicht?"

„Ich schwimme nicht mehr."

„Ja und?", fragte sie. „Was ich übrigens auch nicht verstehe, aber selbst wenn du nicht mehr schwimmen willst, ist das doch kein Grund nicht mit mir zu trainieren. Du müsstest ja nicht einmal mit mir ins Wasser. Es wäre natürlich noch cooler, aber das wäre ja gar nicht nötig!"

„Nein. Meine Antwort ist Nein." Ich traute mich immer noch nicht meinen Blick zu heben. Stattdessen starrte ich auf meine Hände. Meine Finger zitterten. Ich griff mit einer Hand die andere, um sie daran zu hindern, doch selbst so spürte ich, wie sie sich bewegten. Mein Atem ging schwer und ich musste

Ich merkte, dass Robin sich neben mir bewegte. Genauso Kim, aber ich wusste nicht genau, was die beiden machten, doch ich vermutete, dass sie ein stummes Gespräch miteinander führten, denn als nächstes sagte Kim: „Ich muss Oli noch die Neuigkeiten erzählen! Wir sehen uns später."

Ich hörte, wie ihre Schritte sich entfernten, die Tür auf und dann wieder zu ging.

In dem Moment gab irgendwas in meinem Körper nach. Ich ließ mich nach vorne sinken, sodass mein Oberkörper auf meinen Armen, welche wiederum auf meinen Oberschenkeln auflegten, lag. Meine langen Haare fielen wie ein Schleier um mich.

Das Zittern hatte sich mittlerweile auf meinen ganzen Körper übertragen, ebenso auf meine Atmung.

Die Bilder flogen durch meinen Kopf. Momentaufnahmen des Grauens. Jedes Bild schien sich gemeinsam mit einem Messer durch meinen Kopf zu streifen.

Auto. Leichen. Blaulicht. Manu. Wasser. Reifenspuren. Mama. Straße. Wasser. Krankenhaus. Papa. Blut.

Immer wieder. Es hörte nicht auf. Sie schienen immer schneller in mich rein zu prasseln, als ob ich diese Bilder jemals vergessen könnte. Sie waren in meinem Kopf. Man brauchte mich nicht daran zu erinnern. Sie waren ein Teil von mir, den ich nie los werden würde. Egal, was ich tat.

Genau das war doch der Grund, weshalb ich unmöglich ins Wasser gehen könnte. Es war nicht nur der körperliche Schmerz. Nicht nur das Brennen auf meiner Haut. Es waren die Erinnerungen, die dadurch ausgelöst wurden. Das Gefühl als würden meine Organe versenkt werden. Als würde der Schmerz nie wieder enden. Die Angst. Die Schuld.


Greatest Love but Greatest FearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt