Bri rannte durch die Zeltreihen. Die wenigen Städter und Piratenjäger, die noch unterwegs waren, sahen ihr mit zusammengezogenen Augenbrauen nach, doch sie ignorierte sie. Wasser, Essen, eine Pistole, Munition – viel Munition! – Charlies Bombe, ein Feuerzeug ... Es brauchte keine zwei Sekunden, dann hatte Briseis beschlossen abzuhauen.
In ihrem Zelt angekommen schmiss sie alles Brauchbare in ihren Rucksack. Ihre Finger zitterten, als sie den Reißverschluss zuzog; ihr Herz polterte, als sie sich ihre Jacke über die Schultern warf. Sie umklammerte die Zeltplane. Bri schluckte schwer. Die Angst schnürte dem Mädchen die Kehle zu. So vieles schwirrte in ihrem Kopf herum.
... genauer nachfragen.
Briseis kennt die Zahlen, da sind wir uns ja wohl alle einig.
Ich kenne die Zahlen nicht, Dad!
Sie ist darauf gedrillt worden, zu behaupten, sie würde die Zahlen nicht kennen.
Das ist es ja! Ich kenne sie eben nicht!
Wenn es stimmt, dass sie mit Henry Fitz–Becket unterwegs war, wird sie wissen, dass die Piraten ihr das nicht antun werden. Fakt ist, dass sie nicht so dumm ist, die Piratenjäger zu wählen, wenn Henry Fitz–Becket sie beschützen könnte.
Brisi. Ich würde das niemals zulassen.
Weil ich jeden eigenhändig umbringen werde, der dir etwas antun will. Es wäre mir eine Ehre, wenn mein nächster Mord deinetwegen wäre, Brisi.
Fragen wir genauer nach.
„Ich kenne sie aber nicht", flüsterte Bri in die Stille hinein.
Und die einzige Person, die dir das wirklich geglaubt hat, musstest du an die Piratenjäger verraten. Der Einzige, der dir helfen wollte, will deinen Tod jetzt mehr als all die anderen.
Henrys Stimme drang zu ihr, als würde er direkt neben ihr stehen und sagen: „Ich hoffe so sehr, dass sie dich eines Tages für diese Zahlen zu Tode foltern."
Bri riss die Plane auf.
„Heiliger Christophorus!", stieß Charlie aus, der genau vor dem Zelteingang stand. „Was machst du?" Er bemerkte den Rucksack auf ihrem Rücken und erstarrte. „Was wird das?"
Bri sah ihn flehend an. „Ich kann nicht hier bleiben, Charlie."
„Was ist denn passiert?", fragte er. „Deine Familie ist wieder da. Ich dachte, das wär es, was du –"
Bri schüttelte schnell den Kopf. „Die Piratenjäger glauben mir nicht mehr, dass ich die Zahlen nicht kenne", sagte sie leise. „Ich muss hier weg."
„Du gehst?"
Sie nickte langsam. „Vielleicht ... kann ich es schaffen, mich zu erinnern. Ohne ... Hilfe."
„Wohin willst du?", fragte Charlie leise und sah sich vorsichtig um.
Bri zog die Augenbrauen zusammen. „Zu allen Orten, an denen ich gewohnt habe", beschloss sie. Sie sah ihn an. „Das machen doch Demente, wenn sie sich erinnern wollen, oder?"
„Ein so absolut falscher Gebrauch von Demenz hier –"
„Charlie", sagte Bri eindringlich und umklammerte seine Jacke. „Ich will mich ja erinnern, ich versuche es doch! Aber ich kann nicht ... Anna hat mich damals vor einer Folter bewahrt und jetzt ... Ich – Ich kann das einfach nicht", stotterte sie zusammen. „Ich muss hier weg, sofort."
„Kann ich mitkommen?"
Sie drehte sich um. „Was?"
„Bitte, lass mich nicht mit denen allein", flehte Charlie. „Ich will diese Bombe nicht bauen."
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16521 Band 2: Das Lied, die Königin und die Kinder im Meer
Teen FictionDer zweite Teil der 16521-Reihe.