Meeresleuchten

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Bri konnte nicht schlafen. Ihre Schulter schmerzte und sie war ganz und gar nicht zufrieden mit Henrys und Romys Plan, die Piratenjäger und Nordpiraten vereinen zu wollen.

Sie war allein in ihrer Hütte. Romy hatte sie beide zum Essen eingeladen, doch Bri hatte sich ins Bett verabschiedet, sobald es ihr wenig ausgeprägtes Gespür für Höflichkeit erlaubt hatte.

Sie wälzte sich auf den Rücken. Da konnte Bri sich ja gleich aufhängen, wenn sie zu den Piratenjägern gehen sollte und ihnen erstens sagen musste, dass sie tatsächlich die ganze Zeit die Zahlen gewusst hatte; zweitens, dass die Zahlen nicht nach Supra führten – da diese Richtung erfunden war – sondern nach Aurora; drittens, dass die Aurorer und ihre verrückte Königin die Septentrier jahrhundertelang versklavt hatten; viertens, dass Bri und Henry bei der Befreiung der Septentrier einen Krieg gegen Aurora begonnen hatten; und fünftens, dass Bri den Vorschlag zu unterbreiten gedachte, die Piratenjäger mit ihren Erzfeinden zu verbünden.

Das konnte ja nur schiefgehen.

Bri stand auf und stand unschlüssig in der kleinen Hütte herum. Morgen schon wollten Henry und Bri zurück nach Septentrio aufbrechen. Wenn Bri daran dachte, ihrer Familie und den restlichen Piratenjägern gegenüberstehen zu müssen, zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen.

Leise ging sie zu der offenen Wand der Hütte und kletterte hinaus auf das Dach. Der Ausblick auf die See zu ihren Füßen half. Einige Stimmen summten noch durch die Nacht, Mond und Sterne schienen auf die Holzhäuser herab und der Wind fuhr Bri durch die Haare.

Nach einiger Zeit kletterte Henry zu ihr.

„Woher wusstest du, dass ich hier bin?", fragte sie müde.

„Ich weiß so viel, hatten wir das nicht schon?" Er setzte sich zu ihr.

„Klar."

„Willst du allein sein?"

Bri lehnte sich an seine Schulter und Henry zog sie an sich. „Nein."

„Sieh mal da unten." Henry zeigte auf leuchtendgrüne Punkte im Wasser, die immer mehr wurden, bis das ganze Meer grünbläulich leuchtete. Bris Mund klappte auf. Das ganze Meer um sie herum, von einem Horizont zum nächsten, strahlte in die Nacht hinein.

„Was ist das?", flüsterte sie.

„Meeresleuchten." Henry lächelte. „Wenn du die genaue wissenschaftliche Erklärung dafür suchst, wirst du allerdings Charlie bei eurem baldigen Wiedersehen fragen müssen." Bris Lächeln schwand. „Hey." Henry zog sie näher zu sich. „Brisi ... du hast doch keine Angst, oder?"

Bri kniff die Lippen zusammen. Dann schloss sie die Augen.

„Das ist nicht gut." Henry stand auf und zog sie hoch, vorsichtig, um ihre Schulter nicht zu belasten. „Lass uns springen."

„Springen?"

„Hier runter springen."

Bri hob die Augenbrauen. „Ich springe doch nicht von einem Haus in ein giftgrünes Meer, das leuchtet."

Henry grinste, zog Jacke und Schuhe aus und trat an den Rand. „Nur fürs Protokoll ... Dann traust du dich etwas nicht, was sich ein Pirat traut?"

Sie lachte geschlagen. „Na gut, du hast mich." Bri seufzte und zog ihre Jacke aus. „Wenn ich deinetwegen irgendwann sterbe, bringe ich dich um."

Henry grinste und ließ sich rückwärts ins leuchtende Wasser fallen. Als er wieder auftauchte jubelte er. „Topp das erstmal, Bandowski!"

Sie lachte gönnerhaft, nahm Anlauf und machte einen Kopfsprung. Unter Wasser glühte alles. Bri tippte fasziniert eine leuchtendblaue Qualle an und tauchte noch ein wenig tiefer – alles leuchtete, sogar die Pflanzen am Boden, die Fische, die mit großen Augen an ihr vorbeischwammen. Bri fühlte sich, als wäre sie inmitten eines Sternenhimmels gelandet. Als sie nach oben kam, lachte sie laut. So ging das eine gute Stunde – Bri und Henry tauchten in dem Lichtermeer, alberten herum und feierten, dass sie am Leben waren.

16521 Band 2: Das Lied, die Königin und die Kinder im MeerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt