„Hat euch irgendwer gesehen?", fragte eine Frauenstimme leise, aber eindringlich.
„Ich glaube nicht", antwortete ein Junge.
„Wo ist Mickie?"
„Sie musste nach Hause, wegen ihrer Mutter. Sind alle Angestellten raus?"
„Hans ist als letzter vor einer Stunde gegangen."
„Gott, Ma, es tut mir so leid!", hauchte der Junge. „Aber wir wussten nicht, wohin mit den beiden."
„Ist schon gut, Maik, ihr habt alles richtig gemacht. Oh, sieh mal, sie wird wach. Kind? Mädel? Hallo?", fragte die Frau und Bri spürte eine Hand an ihrer Wange. „Ist alles gut mit dir?"
Bri öffnete widerstrebend die Augen. Sie lehnte an einer Marmorsäule in einer kleinen, lichtdurchfluteten Halle.
„Oh Gott", hauchte sie, als sie vor sich eine Frau und einen jungen Mann knien sah. Die Frau trug ein altrosafarbenes, leichtes Sommerkleid, der Junge kurze Hosen und ein Blumenhemd. Alles an ihnen wirkte so sauber – im Gegensatz zu Bri, deren Hände ihr seltsam gräulich und narbenüberzogen vorkamen. „Wo sind wir?" Bris Stimme war nur ein Krächzen, ihre Zunge fühlte sich seltsam geschwollen an. „Wo ist Henry?"
„Ihr seid aus Septentrio, richtig?", flüsterte die Frau eindringlich.
Bri tastete langsam nach ihrer Waffe im Gürtel und umklammerte den Griff. „Wo bin ich?", fragte sie ängstlich.
„Irgendwer hat sie mit Sicherheit gesehen", murmelte die Fremde verzweifelt an den Jungen gewandt. „Sie werden sie holen kommen!"
„Moment, was?", krächzte Bri. Sie kniff die Augen zusammen. „Wasser. Bitte."
„Maik, gib ihr was, los", sagte die Frau hastig.
Maik reichte Bri eine gläserne Wasserflasche und ohne zu überprüfen, ob es vielleicht ätzendes Wasser war, kippte Bri die kühle Flüssigkeit in ihre Kehle. Es war göttlich.
„Wir kommen aus Septentrio", erzählte sie, als sie die Flasche geleert hatte. „Sind wir in Supra? – Oh, ich muss kotzen –" Bri wartete kurz, doch ihr Magen beruhigte sich langsam wieder. „Alles in Ordnung. Sind wir in Supra?"
„Allmächtiger, ihr Ärmsten", wisperte die Frau mit Tränen in den Augen. „Mein Kind, du bist in Aurora."
Bri starrte sie an. Ganz langsam schüttelte sie den Kopf. „Diese Miststücke, diese verfluchten, verdammten Hurensöhne!"
„Wow", gab der Junge nach einiger Zeit von sich. „Ich wünschte, ich könnte mal so losfluchen ..."
„Maik!", warnte die Frau. Mit einem Lächeln wandte sie sich wieder an Bri. „Mein Name ist Ella. Das ist mein Sohn Maik."
Bri hörte sie kaum. „Aurora? Aber ... aber ich dachte, die Richtung wäre ... Aurora ist doch zerstört!"
„Nein. Das denkt ihr nur", erklärte Ella etwas zerknirscht. „Aurora ist genauso wenig zerstört wie Meridies oder Vesper."
„Nein", beharrte Bri.
Ella sah sie beinahe entschuldigend an, so, als täte es ihr Leid, Bri widersprechen zu müssen. „Doch. Sie sind alle bevölkert und –"
„Und wie – zur Hölle – kann ein gesamter Kontinent nicht bemerken, dass drei andere Kontinente auf der Erde bevölkert sind?" Voller Wut legte Bri eine Hand an ihre Stirn. „Jeder zweite Septentrier behauptet von sich, der größte Seefahrer aller Zeiten zu sein, aber niemand – ich meine, niemand! – bekommt es auf seinen kleinen Entdeckerreisen hin, einen von drei bewohnten Kontinenten zu finden?"
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16521 Band 2: Das Lied, die Königin und die Kinder im Meer
Teen FictionDer zweite Teil der 16521-Reihe.