Die Kinder von Meridies

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Ein frischer Wind wehte durch die Stadt aus Holz, die von Pfeilern im Wasser getragen wurde. Mitten im Meer standen tausende Hütten, die allesamt durch Stege miteinander verbunden waren. Kinder sprangen darüber hinweg, Angler fischten nach bunten Fischen, kleine Boote trieben um die Hütten im tiefblauen Wasser. Die Sonne schenkte allen Farben ein Funkeln, alles leuchtete und rauschte. Fischschwärme sprangen aus dem klaren Wasser und verursachten ein regenbogenfreudiges Lichtspektakel. Vögel schrien, während sie über die Richtung hinwegsausten.

Bri konnte ihren Blick nicht von dem eigenartigen und doch so wunderschönen Meridies nehmen. Sie stand in einer der großen Holzhütten, die nur aus drei Wänden bestand, und blickte hinaus auf das endlose Meer

„Wie fühlst du dich?", fragte Romy.

Bri wandte sich zögerlich von dem wundersamen Ausblick ab und der Anführerin Meridies' zu.

Romy konnte gerade mal Anfang zwanzig sein. In ihren Augen funkelte der gleiche jugendliche Leichtsinn wie bei allen anderen ihres Alters – nichtsdestotrotz fühlte Bri sich in ihrer Anwesenheit seltsam geborgen, wie sie da im Schneidersitz auf Bris Bett saß und in ihren grünblauen Algenklamotten Bri anlächelte. Ja, die Meermenschen fertigten ihre Klamotten aus Algen. Bri und Henry trugen selbst Hemden und Hosen aus Meerespflanzen. Sie waren gar nicht mal so unangenehm, wenn auch etwas ungewohnt.

„Es geht schon viel besser", sagte Bri erschöpft.

Die Fahrt nach Meridies hatte etwa vier Tage in Anspruch genommen, die Bri hauptsächlich betäubt von Schlafmitteln verbracht hatte. Sie hatte kaum etwas mitbekommen. Doch irgendwie hatten Romy und die anderen Meridianer es in dieser Zeit geschafft, Henrys Vertrauen zu gewinnen. Also beschloss Bri, ihnen ebenfalls zu trauen.

Es war so unglaublich. Schon die zweite fremde Richtung, die sie sahen, und das innerhalb weniger Tage.

„Du hast auch wieder Farbe im Gesicht", nickte Romy und auch Henry, der an einem Holzpfosten lehnte, nickte mit ernster Miene.

„Dank euch", sagte Bri und ließ sich mit weichen Knien auf das Bett sinken. „Wie geht es Tom?"

Romy berührte kurz ihren Arm. „Er ist verwirrt und sehr schwach. Wir sind uns nicht ganz sicher, was mit ihm geschehen ist, als er blockiert wurde – aber hoffentlich erholt er sich schnell."

Bri schloss die Augen.

Romy lächelte. „Du hast bestimmt viele Fragen", bemerkte sie.

„Tausende", gestand Bri und wechselte einen Blick mit Henry. „Ich meine ... woher wusstet ihr überhaupt, wo und wann ihr uns findet würdet?"

„Wir konnten ein paar unserer Leute ins System von Aurora einschleusen", erzählte Romy. „Als uns die Nachricht erreichte, dass ihr beide dort seid ... haben wir sofort die Segel gesetzt. Die Königin und ihre Minister waren noch nie für ihre Verhandlungsbereitschaft bekannt."

„Dann habt ihr es versucht?", fragte Bri, als Henry sich zu. Sie lehnte sich sofort gegen seine Brust und er zog sie näher. „Zu verhandeln?"

Romy stand auf und sah aus dem Fenster, welches gegenüber von der fehlenden Wand lag und einen Blick auf das rege Treiben ihrer schwimmenden Stadt freigab. „Was ist euch bei uns aufgefallen?", fragte Romy irgendwann leise.

Bri und Henry wechselten einen Blick. Dann ging Bri ein Licht auf. „Ihr ... ihr habt keine alten Menschen", sagte Bri mit zusammengezogenen Brauen. „Ich habe bisher niemanden gesehen, der älter als vielleicht ... fünfundzwanzig ist."

Romy drehte sich wieder zu ihnen um und nickte dann.

„Was ist passiert?", fragte Bri beklommen.

Romy holte tief Luft und kniff leicht die Lippen zusammen. „Die Meridianer hatten auch die Chips, wisst ihr." Sie nickte zu der Kette, die Bri um den Hals trug, an der der kleine, unscheinbare Computer hing, der einst im Gehirn ihrer Großmutter gesteckt hatte. „Nach den Richtungskriegen, die Meridies und Vesper verloren haben, haben die Aurorer auch uns versklavt. Uns die Chips eingesetzt, genau wie den Septentriern." Sie schloss die Augen. „Jahrelang haben sie uns ausgebeutet, uns gezwungen, sie mit Fisch und Salz zu versorgen."

16521 Band 2: Das Lied, die Königin und die Kinder im MeerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt