„Bri?"
Briseis lag im Bett. Nach der Befreiung der Foxtroter Wasserwerke waren alle zurück in das Lager gezogen und Bri war so schnell wie möglich in ihrem – Gott sei Dank wieder leeren – Zelt verschwunden.
Als Helen ihren Kopf hereinsteckte, setzte Bri sich langsam auf.
Ihre älteste Schwester sah schrecklich aus. Sie hatte eingefallene Wangen und jeder Knochen trat hervor. Unter Helens Augen lagen dunkle Schatten und ihre sonst so vollen Locken waren stumpf und hatten ihr perfektes Leuchten verloren.
Bri zog eine Flasche aus ihrer Tasche und trank. Dann sah sie Helen wieder an. „Verhafte mich ruhig. Denn das hier ist kein Apfelsaft, Schwesterherz."
Helen lächelte einen Augenblick. „Du hast mich ja schon immer an Dad erinnert, aber jetzt kann ich ihn buchstäblich vor mir sehen." Sie setzte sich zu Bri und die beiden legten die Arme umeinander.
„Wo sind Samuel und Oliver?", fragte Helen nach einiger Zeit.
Bri schloss die Augen. „Oliver hatte vor drei Wochen eine Ohrenentzündung, die runter in seine Lunge gewandert ist. Er hat es nicht geschafft."
Helen senkte den Blick. „Oh Oli ..."
„Und Samuel ist danach mit einer Delegation nach Alpha gegangen."
Helen nickte, dann schwiegen sie wieder. „Die letzten Monate", sagte Helen irgendwann leise, „waren schrecklich für uns, Bri."
Obwohl sich alles in Bri dagegen sträubte, beschlich sie ein schlechtes Gewissen. Was für ein vollkommen neues Gefühl. Sie legte den Kopf an die Schulter ihrer großen Schwester.
„Du kannst dir nicht vorstellen, was dort für Zustände herrschten", sagte Helen ausdruckslos. „Adrian hat versucht, uns am Leben zu halten ... es war so grauenvoll." Ihre Unterlippe zitterte. „Du musst das verstehen."
Die Sache war nur, dass Bri es eben nicht verstand. Sie hatte diese vierzehn Menschen nicht gebeten, sich gegen sie eintauschen zu lassen, damals im Hafen Novembers. Außerdem waren die letzten Monate für sie auch nicht gerade spaßig gewesen – deswegen ging sie doch aber noch lange nicht in der Gegend rum, brüllte Leute an und fuchtelte mit einer Pistole vor deren Nasen herum – na gut. Zumindest meistens nicht.
„Spielt doch keine Rolle", murmelte Bri.
Helen seufzte. „Doch, das tut es." Sie sah Bri von der Seite an. „Du. Ich will nicht klingen, wie all die anderen, aber ... erinnerst du dich an etwas? An irgendetwas, das mit den Koordinaten zu tun haben könnte?"
Bri trank einen weiteren Schluck und musterte dann die Flasche. „Ich habe es versucht", sagte sie schließlich leise. „Ich versuche, an nichts anderes zu denken."
Jede Nacht, um nicht an ihren Verrat an Henry erinnert zu werden, lenkte Briseis ihre Gedanken zu ihrer frühesten Kindheit in die Stadt Uniform zurück. Zu Benjamin Paas, der mit ihr und Anna spielte, zu ihrer Mutter, zu Augustin Bandowski. Aber da war nichts. Da waren keine verdammten Zahlen! Nur Benjamin Paas, der immer und immer wiederholte, wie stolz er sei, dass Bri sie kannte. Dass sie seine Absicherung war.
„Helen", sagte Bri ernst. „Irgendetwas stimmt an dieser Geschichte nicht."
Helen setzte eine konzentrierte Miene auf. „Sie muss aber stimmen", sagte sie kopfschüttelnd. „Ich erinnere mich gut an Benjamin. Und auch Dad – sie haben beide versichert, dass du sie kennst." Helens Gesichtsausdruck wurde weicher und sie drückte Bris Hand. „Wir finden das schon raus", sagte sie aufmunternd. „Wir lösen das Rätsel."
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16521 Band 2: Das Lied, die Königin und die Kinder im Meer
Teen FictionDer zweite Teil der 16521-Reihe.