Die Insel

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Sobald sie das Schloss in der Nacht aufragen sahen, mussten die vier feststellen, dass die Aurorer bereits hier waren und das Hauptquartier – Ellas, Maiks und auch Mickies Zuhause – besetzt hatten.

Also parkte Mickie das Auto ein Stück entfernt und sie liefen im Schutz der Dünen zu dem Bootshaus, welches ein gutes Stück von dem Hauptgebäude entfernt war. Zu ihrer Erleichterung waren hier noch keine Soldaten angelangt.

Es hatte etwas eigenartig Tröstliches, die Unsinkbar II wiederzusehen. Sie war zu groß für das Bootshaus gewesen, also hatten Maik und Mickie sie damals – vor nicht einmal einer Woche – an einem der drei großen Stege vertäut.

Sie verloren keine Zeit, gingen an Bord und setzten die Segel. Bri war froh über die körperliche Arbeit, da sie um keinen Preis nachdenken wollte – nicht über den drohenden Massenmord an den Septentriern, die Wahrheit über Annas Tod oder über Benjamin und ihre Mutter, die Bri vor ihren Augen hatte sterben sehen müssen.

Sobald das Schloss nicht mehr zu sehen war und die Unsinkbar II immer mehr an Fahrt aufnahm, erhellte auf einmal ein Blitz den Himmel.

„Ach du Scheiße", hauchte Bri und ergriff Henrys Arm. „Ist das ...?"

„Ein Gewitter", winkte Maik ab. „Nicht gerade das Wetter, was ich mir für unseren kleinen Segelausflug gewünscht hätte, aber das wird uns heute Nacht nicht umbringen."

Bri und Henry starrten trotzdem mit offenen Mündern in den Himmel hinauf, der langsam von dem Dunkel der Nacht ergriffen wurde. Gewitter waren in Septentrio so selten, dass die Septentrier nie Gelegenheit hatten, sich an dieses teuflische Naturschauspiel zu gewöhnen. Die Luft war erfüllt von einem dumpfen Grollen, das ihnen in Mark und Bein überging. Ein Blitz jagte den nächsten.

„Eigentlich müsste man es bereits sehen können", sagte Mickie, nachdem sie erneut einen Blick auf die Landkarte geworfen hatte, die sie auf ihrem kleinen Computer geöffnet hatte. Sie kniffen alle die Augen zusammen und schauten in die gewiesene Richtung.

Zunächst konnte Bri gar nichts erkennen. Nur die unruhige, schwarze See, in der sich ab und an ein Blitz spiegelte. Doch nach wenigen Augenblicken konnte sie ein grünes Licht am Horizont ausmachen, dann ein rotes, ein blaues – bis sich vor ihnen ein so riesiges Ungetüm an künstlicher Insel erhob, dass es Bri den Atem verschlug.

„Willkommen bei der Zentrale für internationale IT-Programme", sagte Maik mit belegter Stimme.

Dicke Stahlsäulen ragten aus dem Ozean hervor, an denen sich die monströsen Wellen brachen. Auf einer Plattform, die umringt war von Rohren, in die Ellas Schloss dreimal gepasst hätte, stand eine ganze Stadt aus Gebäuden, von denen eines mächtiger war als das nächste. Überall ragten Antennen, Satellitenschalen und Funkmäste aus der alten Bohrinsel, die blinkten und sich drehten.

Dieses Monstrum stand also zwischen Septentrio und der Freiheit. Hier waren die Maschinen, die ein ganzes Volk seit Anbeginn des Bestehens der vier Richtungen versklavten.

Bri biss die Zähne zusammen. Die Wut, die Frustration, der unbändige Hass – all das drohte sie um den Verstand zu bringen. Doch es galt noch immer: Sie mussten Ruhe bewahren, durften nicht den Fokus verlieren.

„Beenden wir es", sagte Bri und sah Henry an. „Beenden wir es endlich!"

Er nickte. Bri sah all ihre Gefühle in seinem Blick widergespiegelt.

„Leute", sagte Mickie. Sie war im Gesicht ganz grün vom schweren Wellengang, hielt eines der Seile umklammert und zeigte zur Bohrinsel. Sie folgten ihrem Blick. Um die alte Bohrinsel herum lagen gut zehn Militärschiffe vor Anker. Eines machte kehrt und kam auf die kleine Unsinkbar II zu.

16521 Band 2: Das Lied, die Königin und die Kinder im MeerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt