„Wie viele Piratenjäger braucht es, um ein Massengefängnis zu stürmen?", fragte der Mann in der Mitte der Piraten. Er sah die beiden nicht an. Er hatte eine große Narbe, die von seinem Ohr den Hals hinabführte. Außerdem – Bri traute ihren Augen kaum – trug er eine Augenklappe. Wäre diese Situation nicht so völlig frei von jeglicher Komik gewesen, hätte sie über dieses Detail tatsächlich lachen können.
Der Mann sah auf und ließ seinen Hals knacken. „Es braucht anscheinend nur eine Verräterin und ein Waisenkind."
Bri konnte sich als erste rühren und wollte Teddy zurück zum Fenster ziehen. Doch er war wie erstarrt. „Teddy", flüsterte sie eindringlich.
Der Pirat schlenderte auf die beiden zu – so ruhig, dass man meinen konnte, draußen wäre nicht gerade ein Turm in die Luft geflogen. Er musterte die beiden Eindringlinge eingehend. Sein Blick blieb an Bri hängen. „Briseis Bandowski, hm?", sagte der Pirat und legte den Kopf schräg. „Ich war in November am Hafen, als für dich kleines Elend doch tatsächlich vierzehn der größten Piratenjäger Septentrios in Gefangenschaft gingen. Eine wirklich herzergreifende Szene." Er musterte sie. „Du hast dich in den letzten Monaten ziemlich verändert."
Bri ahnte, was er meinte. Seit Wochen mied sie jegliche Blicke in einen Spiegel. Dennoch wusste sie, dass dunkle Schatten unter ihren Augen lagen und ihre Klamotten nicht mehr passten. Von dem vielen Alkohol war ihr Gesicht nahezu immer geschwollen und von roten Pusteln übersät, die sie sich andauernd aufkratzte. Ihre Lippen waren trocken und aufgesprungen und ihre widerspenstigen Haare fielen in einer solchen Vielzahl aus, dass sie befürchtete, in wenigen Jahren kahl wie Lucius Fitz–Becket zu sein. Ja, Briseis Bandowski hatte bessere Tage gesehen.
„Und wer sind Sie?", fragte Bri, anstatt darauf einzugehen, was für eine unschöne Erscheinung sie abgab.
Der Mann lächelte. „Theodor, willst du es ihr erzählen oder soll ich?"
Als Teddy seinen Namen hörte, verwandelte sich die entsetzte Miene in etwas anderes – Hass. „Bill Sayuri", sagte er leise.
„Und woher kennen wir uns so gut?", fragte Bill Sayuri mit einer ausholenden Armbewegung.
Teddy antwortete nicht, während Briseis die Entwicklung dieser Mission immer weniger für gut befinden konnte.
„Genau", antwortete Sayuri an seiner Stelle. „Weil ich deinem Vater, dem alten Greis, nach stundenlanger Folter die Kehle aufgeschlitzt habe – leider nicht sonderlich gründlich. Hat ewig gedauert und 'ne furchtbare Sauerei auf meinen Schuhen angerichtet."
Teddy ballte seine Hände zu Fäusten. Bri umfasste seinen Unterarm, um ihn im Zweifelsfall von jeglichen Dummheiten abhalten zu können.
„Aber egal", sagte Sayuri schulterzuckend. „Deinetwegen sind wir nicht hier." Er drehte sich schwungvoll zu Bri um und ließ Teddy mit einer Handbewegung von zwei seiner Piraten wegziehen, sodass sie ganz allein vor Sayuri stand. Sie drehte ihren Kopf zum Fenster, doch ein riesiger Pirat versperrte den Weg.
Angst verspürte Bri in diesem Moment noch keine. Innere Leere konnte auch ihre Vorteile haben. Einzig ihre Kopfschmerzen begannen, sich zu verstärken. „Was wollt ihr?", fragte sie.
„Zwei Dinge", sagte Bill Sayuri geschäftsmäßig. „Erstens: Ein paar Koordinaten, die da irgendwo in deinem kleinen Köpfchen herumschwirren." Er tippte mit einem Finger gegen seine Stirn.
„Tja", sagte sie traurig. „Da kann ich euch nicht helfen – ich kenne sie nämlich nicht."
Sayuri winkte ab. „Gib uns eine Stunde und du wirst dich erinnern."
„Zweitens?", fragte Bri mit zugeschnürter Kehle, der bei diesem Satz nun doch ein Schauer über den Rücken gelaufen war.
Bill Sayuri schüttelte langsam den Kopf. „Nun. Levi Fitz–Becket ist ziemlich wütend auf dich."
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16521 Band 2: Das Lied, die Königin und die Kinder im Meer
Teen FictionDer zweite Teil der 16521-Reihe.