Charlies Fehler

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Bri war wie gelähmt, als sie diese Zahlen hörte. Sie hatte sie also tatsächlich die ganze Zeit gekannt. Diese fünf Zahlen, die Anna und Felix hätten retten können. Und nun kannten vier weitere Menschen in Septentrio die Zahlen. Ihre Zahlen. Das Einzige, was Briseis je besonders gemacht hatte, teilte sie plötzlich mit vier weiteren Menschen, von denen sie zweien nicht einmal ihren zukünftigen, mehr oder weniger inzestuösen Bastardneffen anvertraut hätte.

„Glaubst du, du kannst daraus ein paar Koordinaten basteln, Charlie?", fragte Henry.

„Eine Minute", sagte Charlie.

„Du kriegst sogar zwei", sagte Sara aufgeregt.

Charlie grinste. „Nein, das war ein Wortwitz."

„Häh?"

„Ich glaube nicht, dass es Koordinaten sind", erklärte Charlie.

Bri spürte Panik in sich aufsteigen. „Was?"

Charlie lachte. „Es sind Gradminuten."

Sie starrten ihn an. Charlie seufzte, zog einen Stift aus seiner Hosentasche und ging zur Wand. „Also." Er malte einen großen Kreis. „Der Vollwinkel wird in dreihundertsechzig Grad aufgeteilt."

„Celsius?", fragte Connie.

Charlie drehte sich um. „Äh. Nein. Nicht Celsius." Er sah sie angeekelt an und bevor er fortfuhr machte er: „Urgh. Ein Grad kann weiter in sechzig Gradminuten aufgeteilt werden oder in 3600 Gradsekunden. Und die wiederum in sechzig Tertien."

„Das bedeutet, die Zahlen verweisen nicht auf einen Punkt", murmelte Bri. „Sondern sie zeigen nur die Richtung, in die man fahren muss."

Charlie nickte. „Man nimmt einen Kompass und fährt genau in Richtung ..." Er blickte den Kreis an und notierte etwas darunter. „... 165 Grad, 2 Minuten, 1 Sekunde." Er trat einen Schritt zur Seite. Bri betrachtete die Zahlen.

165° 2' 1''

„Aber es könnte doch auch ein Grad sein. Oder sechzehn Grad", überlegte Bri.

Charlie schüttelte den Kopf. „Ein Grad wäre im Norden, sechszehn Grad im Nordnordost. Aber du meintest mal, dein Vater und Benjamin Paas kamen damals aus dem Süden wieder her, richtig?"

„Richtig."

„Ich komme nicht mehr mit", beschloss Biff.

Bri nickte langsam. „Das klingt einleuchtend, glaube ich."

Charlie blickte auf den Kreis an der Wand. „Es ist nur logisch."

„Ein Typ, der einem kleinen Kind jeden Tag ein Liedchen vorsingt, das versteckte Richtungsangaben enthält?", fragte Biff skeptisch. „Das ist für dich logisch?"

„Es ist unser einziger Anhaltspunkt", sagte Henry. „Versuchen wir's."

„Henry, wir müssen Levi Bescheid sagen." Biff sah ihn eindringlich an. „Er kann uns Schiffe schicken und –"

„Wohl kaum", sagte Bri ungehalten.

Henry schüttelte den Kopf. „Wir werden es meinem Vater nicht sagen."

Biff starrte ihn an. „Das soll wohl ein Witz sein."

Henry erwiderte seinen Blick. „Das wäre Bris Tod."

Ein Augenblick des Schweigens folgte. Biff rieb sich das Kinn. „Henry ..."

„Wenn ihr den Nordpiraten Bescheid sagt, schön", sagte Bri. Sie stand auf und stellte sich vor Biff. „Aber dann werde ich den Piratenjägern die Zahlen sagen."

16521 Band 2: Das Lied, die Königin und die Kinder im MeerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt