Kapitel 27 | Thomas

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Kapitel 27 | Thomas

Der Moment, wo Michael über die etwa zehn Zentimeter lange und einen halben Zentimeter breite Wulst auf Toms linker Brust strich, zuckte er unwillkürlich zusammen

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Der Moment, wo Michael über die etwa zehn Zentimeter lange und einen halben Zentimeter breite Wulst auf Toms linker Brust strich, zuckte er unwillkürlich zusammen. Die Narbe war unter dem Torso des Phoenix verborgen und konnte nur bemerkt werden, wenn man sie berührte, oder genau wusste, wo man suchen musste. Als er die fragenden Augen sah, wusste er, Michael verdiente eine Erklärung. Ganz besonders, nachdem er ihm auch gerade seine Geschichte erzählt hatte. Die Frage war nur, wie würde er es aufnehmen?

„Wo fange ich an... Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich ungefähr drei Jahre alt war. Mein Dad und ich blieben in London, meine Mutter ging zurück nach Deutschland. In England ist das alles nicht ganz so einfach. Die Privatschulen haben zwar alle einen ausgezeichneten Ruf, aber es ist eben mehr Schein als Sein. Irgendwann hatte ich das Glück, dass mich mein Musiklehrer für begabt hielt und hat meinem Vater empfohlen, mich in eine spezielle Schule dafür zu schicken. Das war quasi der Beginn von alldem hier." Mit einer fahrigen Bewegung deutet Tom in Richtung des Ateliers.

„Nach der Schule habe ich dann ein paar Auditions und Vorspiele gehabt und wurde schließlich, dank James, beim London Symphonic Orchestra angenommen, eines der renommiertesten Orchester der Welt. Wir haben viele Scores für Filme gemacht und ich habe auch schon mit John Williams arbeiten dürfen. War eine schöne Zeit." Mit deutlicher Melancholie in der Stimme lehnte sich Tom in die Berührung seines Gegenübers, als dieser ihm über die Schulter fuhr.

„Aber wie das so ist... Ruhm und Bekanntheit haben zwei Seiten. Es gibt Neider und es gibt Fans. Und dann es gibt diese Sorte Anhänger, die ein sehr krankes Verständnis von Realität haben." Nachdenklich presste Tom seine Lippen zusammen, als er nicht wagte, Michael weiterhin in die Augen zu sehen.

„Etwa ein Jahr bevor ich nach Deutschland gekommen bin, begann mir ein Mann auf dem Weg nach Hause zu folgen. Er lief mir hinterher, sogar bis in die U-Bahn. Ich habe versucht, ihn abzuschütteln, da er mir einfach unheimlich vorkam. Zwei Wochen später habe ich gedacht, er hätte aufgegeben, da ich ihn über ein paar Tage nicht mehr gesehen hatte. Bis zu dem Tag, an dem ich von einer Premiere als Solo-Piano nach Hause kam. Der Kerl hat sich irgendwie einen Schlüssel zu meiner Wohnung verschafft und mich dort abgepasst. Er hat irgendwas davon gefaselt, dass er mich liebt, dass ich ihm gehöre und ihm sein Herz gestohlen hätte."

In bitterer Abscheu schnaubend lehnte sich Tom nach vorn und schloss die Augen. „Er war stärker als ich. Hat versucht mich zu... Du weißt schon... Ist aber nicht erfolgreich gewesen. Stattdessen hat er mich auf den Boden geworfen, geschrien, dass ich ihm sein Herz wiedergeben soll und hat versucht sich meins zu holen. Mit dem Messer, mit dem ich morgens noch mein Brot geschnitten hatte."

Entsetzt sah Michael Thomas entgegen, als dieser ihn wagte anzusehen. „Ich habe es geschafft, ihn niederzuschlagen, mit meiner Frühstückstasse, bevor ich ohnmächtig wurde. Wenn die Nachbarn den Lärm nicht gehört hätten..." Tom schluckte hart und zuckte schließlich mit den Schultern. „Was soll ich sagen... Seither bin ich an manchen Tagen ein emotionales Wrack, nehme nur sehr ungern die U-Bahn und werde ziemlich nervös, wenn mir fremde Menschen irgendwo folgen." „Verständlich", hauchte Michael heiser und wusste offensichtlich nicht, was er im ersten Moment sagen sollte.

Alles, was Tom wissen musste, war die Tatsache, dass Michael ihn nicht völlig angewidert ansah, sondern eher noch faszinierter auf die Narbe starrte und sie zärtlich streichelte. „Der Phoenix steht für eine Wiedergeburt. Er brennt und kommt aus dem Feuer zurück. Ich denke, das passt irgendwie, hm?"

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