Kapitel 20 | Michael
Es war Samstag, der Tag vor Toms erstem Konzert. Er war mindestens genauso nervös, wie Thomas es wahrscheinlich war. Obwohl – war der überhaupt nervös? Oder war das für ihn einfach nur ein Tag wie jeder andere? Micha seufzte. So gern würde er rübergehen und mit Tom sprechen. Einfach für ihn da sein, falls er ihn bräuchte. Auch nagte immer noch die Begegnung mit David an ihm. Er wusste nicht, was er von der ganzen Situation halten sollte.
Schließlich fasste er einen Entschluss. Er würde mit Thomas sprechen. Zwar hatte er keine Ahnung, was genau er sagen sollte, aber vielleicht würde es sich auch aus dem Gespräch heraus ergeben. Er öffnete die Tür und sah, wie Matthias gerade Toms Einfahrt hochkam und Thomas selbst mit einem ihm fremden Mann im Türrahmen stand. Ihre Blicke trafen sich, Tom verzog sein Gesicht und warf seine Tür mit Schwung zu.
Völlig verwirrt starrte Tom Matthias an, der nun zu ihm rüberkam. „Du, ich habe gerade echt keine Zeit. Aber wir müssen morgen unbedingt quatschen. Du wirst es nicht glauben." „Danke für den Trigger." Micha verdrehte die Augen und lachte dann. „Wir sehen uns dann morgen."
Abends lag er mal wieder im Bett und seine Gedanken kreisten nur um Tom. Der Blick, den er ihm vorhin zugeworfen hatte, schmerzte sehr. Und dann dieser andere Kerl. Mittlerweile glaubte er tatsächlich, dass Thomas sich wohl von David getrennt gaben musste. Und scheinbar hatte er schon jemand Neues.
Michael überlegte, morgen einfach zuhause zu bleiben. Wie würde sich Thomas wohl fühlen, wenn er ihn in der ersten Reihe sah, wo er doch so dermaßen keinen Wert auf seine Gesellschaft legte? Oder würde er ihn gar nicht wahrnehmen? Er brauchte lange, bis er endlich einschlief und dann träumte er von blauen Augen und zuschlagenden Türen.
Den Vormittag verbrachte er mit seinem Fahrrad im Park und powerte sich so richtig aus. Anders bekam er seine rasenden Gedanken nicht unter Kontrolle. Unentschlossen stand er später vor seinem Kleiderschrank. Welches Hemd sollte er zu seinem dunkelgrünen Anzug tragen? Welches würde Tom wohl besser gefallen? Schließlich entschied er sich für das schwarze und bügelte es mit zitternden Händen auf.
Anschließend stylte er seine Locken und zögerte kurz, ob er es riskieren sollte, sich zu rasieren. Letztendlich klappte es aber doch einigermaßen und er fand, er sah ganz passabel aus. Im Wohnzimmer bereitete er alles soweit vor, da sie sich vorher hier bei ihm treffen wollten, um dann zusammen zur Philharmonie zu fahren.
Dass Matthias ihm noch etwas erzählen wollte, hatte er über seine Aufregung vollkommen vergessen. Dies änderte sich jedoch schlagartig, als dieser ihn später kurz zur Seite nahm. „Tom hat übrigens, wie alle immer, geglaubt, dass Conny deine Freundin ist. Und scheint er zu denken, dass du was gegen ihn hast, weil er schwul ist. Was hast du bitte angestellt?" Michael schluckte hart. Kam sein Verhalten wirklich so rüber? Er schämte sich gerade sehr. Andererseits war es einfach zu komisch – weiter weg von der Realität konnte Thomas Annahme wohl kaum sein. „Ich spreche nachher mit ihm und kläre das. Vielleicht ist er dann auch wieder etwas netter zu mir. Wenn er das wirklich denkt, verstehe ich, warum er mir gegenüber so abweisend ist."
Er war tatsächlich noch nie in der Philharmonie gewesen und fand das alles sehr interessant. Vor allem, dass Thomas hier gleich vor so vielen Menschen auftreten würde. Das war beeindruckend. Ihm war bis jetzt gar nicht klar gewesen, was für ein Star Tom in der Klassikszene sein musste. Kurz vor Beginn nahmen sie in der ersten Reihe Platz. Nicht weit entfernt entdeckte Micha den Typ, den er gestern bei Thomas zuhause gesehen hatte. Sein Herz wurde schwer. Wahrscheinlich war das wirklich sein neuer Freund.
Das Konzert erlebte Michael wie im Rausch. Thomas und auch der Rest des Ensembles waren fantastisch. Er saugte den Auftritt regelrecht in sich auf. Der Anblick des schönen Mannes, vollkommen versunken in die Musik und in sein Spiel brachte etwas in ihn zum Klingen. Micha wusste, dass nicht gut für ihn war, aber er konnte einfach nicht anders.
Nach der Zugabe stand das komplette Publikum auf und zollte seinen Respekt. Thomas ließ seinen Blick über die Menge schweifen und sah Michael das erste Mal heute an. Kurz verhaken sich ihre Blicke miteinander und ein kleines Lächeln huschte über Toms Lippen, was Michas Bauch heftig kribbeln ließ.
Thomas bedankte sich bei allen Beteiligten, die ihn heute unterstützt hatten. „James Grand, würdest du bitte kurz aufstehen?" Micha nahm wahr, dass der Mann einige Plätze neben ihm sich erhob. „James, ohne dich wäre ich heute vermutlich nicht hier. Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast. Du bist der perfekte Mentor und ein guter Freund. Danke!"
Michael musste sich setzten. Guter Freund? Gar nicht „sein" Freund? Das bedeutete, Tom war vielleicht gar nicht vergeben...?
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Living Next Door
RomanceAus persönlichen Gründen kehrt Thomas London den Rücken und zieht nach Köln in eine Reihenhaushälfte. Bereits kurz darauf trifft er auf seinen attraktiven, aber anscheinend immer mies gelaunten Nachbarn Michael. Die Missverständnisse häufen sich und...