Kapitel 17 | Thomas

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Kapitel 17 | Thomas

Es war von Anfang an ein zum Scheitern verurteilter Versuch gewesen, diesem verbohrten, elenden Schwulenhasser eine zweite Chance zu geben

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Es war von Anfang an ein zum Scheitern verurteilter Versuch gewesen, diesem verbohrten, elenden Schwulenhasser eine zweite Chance zu geben. Offensichtlich hatte er nichts gegen Lesben. Wie auch, der personifizierte Männertraum mit sechs Öffnungen. Allein bei dem Gedanken daran wurde Tom schlecht.

Und dabei waren seine Freunde offensichtlich echt nette und lockere Leute! Inklusive seiner Freundin. Im Grunde blieb Tom nichts anderes übrig, als sich mit der Tatsache abzufinden, dass diese Conny mit Michael das Bett teilte. Dann war es eben so. Kein Problem. War ja nichts dabei. Außer der Tatsache, dass dieser Mann zumindest optisch genau dem entsprach, was Tom nicht mehr aus dem Kopf ging. Oder dem Schwanz...

Doch um diesem verkrampften Kerl eins auszuwischen, hatte Tom sich vorgenommen, sich seinen Freunden mit einer regelrechten Charmeoffensive zu präsentieren. Matthias war lustig und sein Verständnis der Klassik machte es Tom einfach, sich mit ihm zu unterhalten. Auch wenn Michael ihn vom Platz gegenüber anstarrte, als wolle er ihn jede Sekunde auffressen. Und das nicht im positiven Sinne.

Kein Wort. Kein verdammtes Wort hatte er für ihn übrig. Aber anstarren, als würde er erwarten, dass er jeden Moment irgendwas „Schwules" sagen würde, das konnte der Typ! Irgendwann war es ihm dann wirklich zu blöd. Der Musiker verabschiedete sich bei den Menschen, die offensichtlich so ganz anders waren als ihr Freund und ging zurück in sein Haus. Schaffte es gerade noch, bevor die bitteren Tränen, die er so lange unter Kontrolle gehalten hatte, sich Bahn brachen.

Nach einer Dusche und einem krampfhaften Versuch, seine Tränen endlich unter Kontrolle zu bekommen, griff er zu seiner Gitarre und begann „Nothing else matters" zu spielen. Er war gerade bei der zweiten Strophe angekommen und die Tränen waren endlich versiegt, als es an seine Terrassentür hämmerte. Irritiert ging er nach unten und öffnete die Tür.

„Was willst du?" „Meine Ruhe, verdammt! Ich will, dass du endlich diese Dämmung anbringst, damit ich meine Ruhe habe." Wusste dieser Mensch eigentlich auch irgendwann mal, was er wollte? „Du bekommst deine Ruhe", sagte Thomas und bemühte sich, seine Erschöpfung nicht hörbar werden zu lassen.

Ohne Micha noch einmal eines Blickes zu würdigen, schloss er die Tür wieder und zog den Vorhang davor. Mit schweren Schritten ging er wieder nach oben, rollte die eierkartonförmige Matte aus und begann sie mit doppelseitigem Klebeband an die Wand zu Michaels Hausseite anzubringen. Immer wieder davon unterbrochen, dass heiße Tränen erneut seine Wange herunterliefen.

Die nächsten Tage verliefen immer gleich. Tom ging um sieben Uhr aus dem Haus, kaufte ein und verbarrikadierte sich dann wieder in seinem Atelier. Die Vorhänge hatte er zugezogen und auch das Fenster über seinem Bett war mit einem Stoffrollo geschlossen. Alles, worauf er sich konzentrierte, waren die Stücke, die er in einigen Tagen bei der Premiere in der Philharmonie vortragen musste. Es war eine Zusammenstellung aus verschiedenen Klassikern und modernen Rockstücken, die man auf klassische Instrumente umgeschrieben hatte.

Irgendwann nahm der Musiker gar nicht mehr wahr, ob es Tag oder Nacht war. Er stand auf, ging einkaufen, setzte sich ans Klavier, aß und ging schlafen. Betäubte seine Sinne mit der einzigen Konstante, die er je in seinem Leben gehabt hatte – der Musik.

Bis Matthias ihn anschrieb und fragte, ob das Angebot mit den möglichen Karten noch bestand. Tom dachte nach und legte das Smartphone kurz zur Seite. Zehn Tage war es her, dass er Michael das letzte Mal gesehen hatte. Der Schmerz hatte sich in ein dumpfes, taubes Gefühl verwandelt, irgendwo da, wo sein Herz lag.

In dem Moment, wo er Matthias' Frage las, kam alles wieder hoch. Die Enttäuschung, die Leere... Er sah die wunderschönen grünen Augen vor sich und dieses weiche, blonde Haar. Seine masochistischen Gedanken stellten sich vor, wie Conny ihre Finger in dieses weiche Chaos hineinlegte und es streichelte.

Im selben Moment kamen die Tränen erneut. Es war hoffnungslos. So sehr er diesen Kerl für seine Ablehnung hasste, so sehr begehrte er ihn. Mit zitternden Händen griff er das Smartphone und schrieb an Matthias, dass er ihm Karten zukommen lassen und sich freuen würde, wenn sie kämen. Natürlich schrieb er nicht: Aber lasst euren Schwulenhasser zuhause... Er glaubte ohnehin nicht, dass Michael wirklich zu diesem Konzert kommen würde. Auch wenn es eine kleine Hoffnung diesbezüglich blieb.

Am Donnerstag vor dem großen Abend kam James Grand, der zweite Pianist des Orchesters von London in Köln an. Es hatte sich seit ihrer Jugend so eingeschlichen, dass sie sich bei ihren jeweiligen Premieren immer unterstützten. James war ein Mann um die vierzig, immer bestrebt sein Spiel zu verbessern und ein unglaublich guter Freund für Thomas. Im Grunde der einzige Mensch, den er neben dem Beruf auch ab und an mal privat getroffen hatte. James war ein Meister der Klassik und Tom liebte es, ihm beim Spiel zuzusehen und immer wieder von ihm zu lernen.

Er holte seinen Freund vom Bahnhof ab. Umarmte den etwas Kleineren auf dem Bahnsteig, als wäre er ein Anker in diesem Sturm. James lachte leise, stöhnte, dass Tom ihm die Luft rauben würde und sah seinem Freund schließlich in die deutlich übernächtigten Augen. „Sag mir nicht, du bist nervös." Thomas lachte leise, winkte mit der Hand hin und her und erntete ein amüsiertes Augenrollen seines Freundes.

„Claire fragt jede Woche nach dir. Sie vermisst dein Schlaflied." Lachend den Koffer seines Freundes in den Mini verstauend, stieg Thomas auf den Fahrersitz und murmelte: „Wenigstens eine Person, die meine Künste noch zu schätzen weiß." „Jetzt mach dich aber mal nicht kleiner als du bist. Das erste Piano der Philharmonie. Das ist eine große Verantwortung!" „Tja, mein Nachbar bestand auf den Schallschutz nur ein paar Tage nach meinem Einzug." „Pfff... Kulturbanause!" So konnte man es auch ausdrücken. „Ich nehme für deine Tochter das Schlaflied auf und schicke es dir", versprach der Musiker, als er den kleinen Wagen in Richtung seines Hauses lenkte.

Sonntag würde es soweit sein. Sein großes Konzertdebüt im Herzen der Stadt. Vielleicht würden ihn wenigstens hier die Menschen halbwegs gut aufnehmen.

Living Next DoorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt