Kapitel 53. Letzte Male

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„Ist er nah?", fragte sie. Die Worte überschlugen sich auf ihrer Zunge.

Beowulf, der sich wieder stöhnend die Brust hielt, krächzte etwas, das klang wie Zustimmung.

„Kannst du...?" Turid stand hilflos vor der Steinplatte, in ihrem Bauch ein Kribbeln. Es würde das letzte Mal sein, dass er sie hier hinaufzog, überlegte sie.

Stille. Turid blinzelte und lauschte. Nickte er wieder?

„Beowulf?"

Er knurrte. Sie sagte nichts, denn auf einmal kochte wieder die Sorge ihren Magen empor, verschlang das Kribbeln mit hungrigem Maul und setze ein Rütteln an seine Stelle, so hell und wild wie ihr Herzklopfen. Ein Wachrütteln? Bei Gott, war es denn je so schlimm um ihn gestanden?

Bevor sie zurückweichen konnte, hatte er sich an ihren Arm geklammert, so fest, als wolle er sie nie mehr loslassen und gleichzeitig mit genügend feuchter Luft zwischen ihnen, damit sich ihre Körper nicht berührten – wie stets. Nicht geborgen, sondern eingeklemmt zwischen gewaltigen Kiefern kam sie sich vor. Erst, als sie sich zwang, tief und langsam auszuatmen, wurde es besser.

„Verzeih", sagte er, den Druck ein bisschen mindernd, „verzeih, verzeih." Sie fühlte es wieder warm werden auf ihren Wangen. Mit der Erregung kehrte auch ihr erwartungsvolles Lächeln zurück und die Finsternis schien zum ersten Mal etwas heller zu ruhen als früher.

Beowulf griff nach einer Steinzacke, um sich daran abzustützen. Seine Hand wanderte nach unten und wurde dort von ihren Fingern empfangen, die die seinen fest drückten, aber er drückte nicht zurück. Macht nichts, dachte sie. Er hat Schmerzen.

Gerade war Turid sich sicher, dass es jetzt endlich losgehen würde, da erstarrte er und wandte sich vom Felsen ab wie ein angeekeltes Tier. Sie gab ihm über ihre verbundenen Hände ein weiteres Zeichen, so kräftig diesmal, dass er keuchte. „Ich verstehe es. Aber es ist die richtige Entscheidung", sagte sie.

Stumm zögerte er noch einen Moment, dann schob er sich – noch lautloser – nach oben und zog sie mit sich. Ihr war, als hielte das Trümmerfeld ihr Fußgelenk genauso verbittert umschlungen wie er ihre Hand: Alles wurde unheimlich träge und in ihrem Bein entsprang ein Funke, der in Sekundenschnelle das Rückgrat überfiel und es pulsieren ließ, während ihr Arm sich in Beowulfs Griff weiter als gesund zu dehnen schien. In der nächsten Sekunde war es vorbei und sie entspannte das verkniffene Gesicht. Oben, flüsterte nun eine kecke Stimme in ihrem Inneren. Oben und nie mehr nach unten.

Beowulf kam neben ihr zum Stehen, drückte ihr in den Rücken, sanft – und doch ohne Widerrede zu dulden. Gleichzeitig allerdings zog ein Teil von ihm ihre verhakten Finger in die Leere, zurück zum Trümmerfeld. Das ließ Turids Oberkörper leicht verkrümmt in die Drehung gehen, und sowie sie erschrocken den Kopf hob, vermutete sie, dass sie Beowulf aus unmittelbarer Nähe ins Gesicht starrte. Jetzt konnte er nicht übersehen, dass ihr kleine Schweißperlen auf einer Stirn ruhten, die in Falten lag.

Sie erlaubte ihm, so zu verharren, und zählte bis zehn. Doch die Schwärze trug nur seine Anwesenheit zu ihr herüber, die sich, so wurde ihr nun schrecklich bewusst, weder durch seine Atmung noch durch sein Herz noch durch seine Wärme wirklich äußerte. „Sag doch was."

Nichts.

Sie biss sich auf die Lippe und schälte sich aus der Drehung heraus, trat einen zögerlichen Schritt nach vorn. Da endlich brummte er und folgte ihr. Dass auf einer Maske, die seine Augen nicht erreichte, die Brauen schwacher zitterten als ein Blatt in der Flaute, das wusste sie nicht. Und doch... zitterten sie.

Kaum ein paar Biegungen hatten sie hinter sich gebracht, da hielt Turid ihr Gewissen nicht mehr aus. Es fraß sich durch sie hindurch wie hungrige Glut. Beowulf, es tut mir leid, wollte sie sagen. Ich ertrage es kaum, dass du leiden musst. Leidest du meinetwegen? Weil hiermit alles anders wird?

Turid und die FinsternisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt