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Eine faulige Süße sank auf sie herab. Es war, als kroch ihr das Bild verwester Fleischfetzen hinter die Augen, wie sie mit der traurigen Schwerelosigkeit von Gehenkten in seinem Maul herumbaumelten und braunes Zahnfleisch schmückten; wie der Geifer an ihnen hinunterlief und auf den Lefzen verdampfte. Gleich durchbohrt er mich, dachte sie, gleich kommt der Schmerz, gleich. Turid kniff die Lider fest zusammen und betete, dass er ihren Kopf erst fressen möge, nachdem sie gestorben war.
Ein heißer Kontakt und sie schrie auf. Aber es war nicht sein Gebiss, das sie liebkoste, sondern seine Zunge. Genüsslich und mit geballter Kraft schrubbte sie ihre Beine hinauf, sodass Turids Haut sich von den Knochen schälte und ein Brennen wie Buschfeuer ihren zitternden Körper erkletterte und Blut und Verwüstung zurückließ, wo immer es passierte. Turid schrie weiter, dann kreischte sie in kurzen Stößen, als Hadubrand aufs Neue unten ansetzte, jeden Fingerbreit seines nadelbespickten Organs in ihrem Körper versenkte und den Duft von Urin und Angstschweiß in seinen Nüstern willkommen hieß. Er grunzte wohlig, sie weinte bitterlich. Sie zappelte wie eine Maus, er schob sie mit der Pfote zurück.
Es war ekelhaft, diesen Tod zu sterben, dafür gemästet worden zu sein wie ein Schwein, denn das, so wurde ihr jetzt klar, war alles, was ihr dieses Jahr beschert hatte: Zeit, um am Leben zu bleiben, bis Hadubrand wieder hungrig war. Das Tier hatte nicht Wärme und Nahrung gegeben, sondern geliehen, was es sich jetzt zurückholen wollte – schon viel früher, erkannte Turid mit zappelnden Gliedern und zusammengepressten Zähnen, nur hatte es den Eroberer erwischt und nicht sie. Diese Gier, die es ihr jetzt zum Abschiedsgeschenk machte, war die gleiche, mit der es sie vor vielen Monaten so verbissen beschmeckt hatte wie nie zuvor, bis die zweite Hinrichtung seine Pläne durchkreuzte.
Ein warmer Wasserfall, splitternde Knochen. Dieses Knacksen erklang ihr in den Ohren wie just gespielte Musik. Folgen würde sie dem Schicksal des Eroberers und wer wusste es schon – vielleicht würden ihre eigenen Fleischklumpen schon morgen den nächsten Gefallenen ernähren, der das Pech hatte, dem gesättigten Ungeheuer vor die Füße geworfen zu werden und sich dann in seinen Diener zu verlieben. Beowulf, du falscher Köter, dachte sie, nichts anderes bist du. Bestie, Werwolf, Bärenmensch. Dass ich nicht lache.
Ihr teuflisches Grinsen erstarb, als Hadubrand auf ihren Brustkorb trat. Hilflos schnappte sie nach Luft, doch sein Gewicht quetschte sie aus ihren Lungen heraus, ehe Turid richtig davon gekostet hatte. Bunte Muster traten ihr wieder vor die geschwärzte Sicht, fast wie zum Lebewohl. Die farbenfrohe Pracht erblühte wenige Sekunden später zu ihrem Höhepunkt, bevor sie langsam verblaute und schließlich – genau wie das Schnauben über ihren Ohren – ins Gräuliche zu verschummern begann, weil Turids Sinne sich ans Sterben machten.
Da ließ Hadubrand sie los.
Blitzschnell sprang sie auf die Füße. Er ließ sie einige Schritte durch die Dunkelheit stolpern, dann mähte er sie nieder. Beim zweiten Versuch gab er ihr etwas mehr Zeit: Aufrappeln, fallen. Wieder am Boden. Wieder auf den Beinen. Auf ein Neues. Beim letzten Mal rannte sie gegen die Wand und brach sich die Nase.
Ihre Lungen standen in Flammen und das Blut tropfte ihr vom Gesicht auf die Hände. Die Finsternis hatte ihr das Augenlicht geraubt, jetzt verschluckte ein Japsen ihr Gehör; kurz meinte sie, Hadubrand müsse bellen wie ein Hund, bis ihr klar wurde, dass das Geräusch aus ihrem eigenen Körper kam.
Wieder kroch warmer Atem über ihre Haut, auf der sich alle Härchen aufgestellt hatten. Und dann wölbte sich ihr Brustkorb. Im ersten Moment meinte sie, sich übergeben zu müssen, im zweiten verspürte sie den furchteinflößenden Drang, aus tiefer Kehle singen zu wollen. Da war ein Klumpen in ihrer Luftröhre und er schwebte nach oben. Er wollte hinaus. Irgendwie schaffte sie es, einen guten Teil ihrer zuckenden Glieder vor ihre Lippen zu bringen und zuzudrücken; doch der Klumpen wollte gar nicht über ihre Mundhöhle hinaus, er spazierte einfach daran vorbei. Auch die Nasenlöcher beachtete er nicht.
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Turid und die Finsternis
FantasyDie Hinrichtung einer jungen Frau steht kurz bevor. Um ihre Würde zu bewahren, akzeptiert sie einen grausamen Tod: Sie soll einem Ungeheuer zum Fraß vorgeworfen werden. Ihr Schicksal nimmt eine Wendung, als das Wesen - scheinbar halb Mensch, halb T...