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„Turid", raunte er. „Turid, komm."
Die Finsternis fesselte Turids Pupillen. Ihre Augen waren blicklos, der Schlaf hatte ihnen jeden Ausdruck gestohlen. Nur die leicht geöffneten Lippen brachten Spiel in ihre Mimik, denn sie machten ihr die Brauen zu zwei befremdeten Strichen auf dem Gesicht.
Wortlos ergriff sie Beowulfs Finger auf ihrer Brust, doch die kühle Haut ließ ihr Herz für einen Schlag aussetzen „Wo ist die Wärme hin?", klagte sie benommen. Seine Hand fühlte sich an wie die eines Fremden, gar nicht wie jene, die sie beim Einschlafen in der ihren gehalten hatte. Es schien kein Blut in seinen Adern zu sein. Turids zarte Geste wich einer zögerlichen.
„Wärme?" Beowulf wich zurück. „Hast du geträumt? Hier gibt es keine Wärme."
Sie starrte an die Decke und versuchte die Bilder des Schlafes zurückzuholen, aber sie waren fortgewischt. Verschwunden hinter einem dunklen Vorhang. „Ich – nicht so wichtig", sagte sie leise und schüttelte den Kopf.
Sie spürte noch immer den Druck auf ihrem Brustbein. Seine Hand hatte ihren Platz nicht verlassen. Vor einigen Sekunden, als sie noch das starke Gefühl gehabt hatte, widerwillig berührt worden zu sein – denn Beowulfs Hand hatte gezittert, das tat sie noch jetzt – da war sie für Turid nur ein Gewicht gewesen, nicht anders als ihre Wolldecke. Zurückgeblieben war nur die schläfrige Verwunderung, warum er so sehr vor einer Nähe scheute, die sie sich nur Stunden zuvor hart und siegreich erkämpft hatten. Doch mit jeder Pause, die zwischen seinen Atemzügen länger wurde als die letzte, bohrte sich eine Angst in ihre Haut, die die Verbindung zwischen ihnen zu einem Schreckgespenst werden ließ. Weil dieser Druck mit einem anderen verschmolz, der durch ihre Erinnerungen an die Oberfläche trat: Harte Griffe einer lange zurückliegenden Gewalt. Eine Wunde so frisch, dass sie noch immer davon träumte.
„Beowulf", wimmerte sie gequälter als beabsichtigt. Dabei rutschte sie kaum merklich gegen die Felswand. „Du tust mir weh."
Sofort ließ er sie los, keuchte, erbebte. „Nein", meinte sie schnell und tat einen tiefen Atemzug. „Ist schon gut. Halb so wild." Sie lächelte.
„Verzeih mir", sagte er. Der dumpfe Klang seiner Stimme schien es schwer zu haben, die kalte Luft zu durchdringen.
Trübe Worte, kalter Druck. Turid runzelte die Stirn. „Was ist mit dir?"
Er antwortete nicht. Es war der Moment, in dem sein Herzklopfen anschwoll wie ein Rinnsal zum Wasserfall. Sie blinzelte und fühlte aufkeimende Spannung in ihren Muskeln brennen, hörte, wie er die Luft pfeifend durch die zusammengebissenen Zähne sog und halb gehend, halb kriechend rückwärtstaumelte.
Ohne zu zögern, sprang sie auf die Füße und war hellwach, bevor sie richtig stand. „Ist Hadubrand wieder da?!"
Mit tödlicher Sicherheit starrte er sie jetzt an, sie wusste seine Augen auf ihr ruhen, da krächzte er „Ja" und ihr wurde klar, dass er in der kleinen Pause zwischen ihrer Frage und seiner Antwort genickt hatte. Er gab ihr, einer Blinden, ein stummes Zeichen? War Hadubrand so nah, dass Beowulf den Verstand verlor?
Den schrillen Instinktschrei in ihrem Innern brauchte es nicht, denn Turid schaltete schnell wie eine Maschine. Sie ließ die Decke fallen und hob die Hände, ganz langsam, wie zum Segen. „Alles wird gut", sagte sie sanft. Wie froh sie um das Poltern in seinen Brustkorb war, weil es ihre eigene Erregung hungrig verschlang und die Lüge hinter ihren Worten versteckte.
Er schluckte und rappelte sich auf – und wurde plötzlich sehr ruhig. Ein Murmeln entfloh seinen Lippen. Ungläubig erstarrte sie mitten in der Bewegung.
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Turid und die Finsternis
FantasíaDie Hinrichtung einer jungen Frau steht kurz bevor. Um ihre Würde zu bewahren, akzeptiert sie einen grausamen Tod: Sie soll einem Ungeheuer zum Fraß vorgeworfen werden. Ihr Schicksal nimmt eine Wendung, als das Wesen - scheinbar halb Mensch, halb T...