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„Jetzt, jetzt habe ich dich", sagte der Mann. Es war nur ein Zischen in der Dunkelheit, verklumpte Wortfetzen, die von seinem Wahn und dem zertrümmerten Gesicht verwischt wurden wie frische Farbe auf glattem Stein. Für Turid klang es mehr wie ein Eh-eh-ahe-ih-ih. Dennoch war ihr völlig klar, was er meinte.
Sie lag auf ihrem Bett aus Felsen wie eine Königin in ihrer Sänfte: Den leise atmenden Brustkorb aufrecht gehalten, das Kinn in einer raffinierten Neigung präsentiert, die Arme lässig zur Seite hin ausgebreitet. Die schwarzen Locken kitzelten ihre Wangen. Es fühlte sich an, als ergieße sich ihr Haar als wilde und rebellische Fülle auf dem Stein – so ganz anders als der feuchte, strähnige Klumpen, der ihr in Wahrheit über den Schultern hing. Ihre Beine waren leicht angewinkelt und ruhig auf den Boden gebettet, der Steillage voraus, sodass ihr das Blut in den Kopf floss und ihre Zehen kribbelten. Um sie herum schlossen sich die Felsen um ihre Glieder. Wie als ob sich das Geröll ihrer Körperform angepasst hätte, um sie sanft zu tragen.
Wie eine Dirne, die ihren Freier erwartet, dachte Turid. Tief in ihrem Inneren wusste sie, dass die Angst ihr einen Streich spielte und aus einem mageren verrenkten Häufchen dieses elegante Bild zauberte; dass die ästhetische Pose einem Hirngespinst entsprang. Ein Teil von ihr hämmerte gegen ihr Bewusstsein, versuchte ihr beizubringen, dass der Mann sie in der Finsternis ohnehin nicht sehen konnte. Aber es war zwecklos: Turids Gedanken kreisten wie hungrige Wölfe um den Schmerz, dass sie sterben musste, wie sie sterben musste, und dass all dem noch nicht genug war. Die Schwerkraft hatte ihr auch noch einen höhnischen Scherz daraus gemacht, indem sie dem Raubtier ihren Körper so präsentierte.
Der Mann war nicht weit entfernt von Turid mit dem Boden kollidiert. Für eine fürchterliche Sekunde, den Moment nach ihrem eigenen Aufprall, hatte sie geglaubt, er würde auf ihr landen und sie zerquetschen. Aber dann besann sie sich, erinnerte sich – er war durch seine Masse und seinen Sprung im Flug an ihr vorbeigerast und vor ihr aufgekommen, mit einem donnernden Schlag, dass die Erde bebte und die Höhlenwände bröckelten. Turid hingegen war gefallen und hatte sich überschlagen und war wieder gefallen, bis es kein oben und unten mehr gab und ihr klägliches Bisschen von Gewicht im Vergleich zu diesem ohrenbetäubenden Schlag aufsetze wie eine Feder. Ihr Fall hatte sich durch das immer flacher abschwingende Gestein verlangsamt, aber sein Ende war plötzlich genug, um ihr ein Feuer in den Rückenwirbeln zu entfachen und sie stumm nach Luft schnappen zu lassen. Es war ein Wunder, dass sie sich an keinem der zerklüfteten Felsen den Schädel zerschmettert hatte oder schlichtweg von ihnen aufgespießt worden war. Turid konnte fühlen, wie scharf und spitz die Kanten unter ihrer Haut waren, ein Nest aus Scherben.
Und er? Sie hörte, wie er langsam in der Dunkelheit herumkroch. Der Schall wurde zu ihr heruntergetragen, denn er befand sich einige Schritte über ihr am Fuße des Hangs, an dessen Ende sie lag, den sein Sturz aber verfehlt hatte. Turid spürte, wie der Boden unter ihr durch seine Bewegungen erzitterte – ein Brocken unter ihrer rechten Schulter löste sich und rutschte ein Stück hinab. Es war der Moment, in dem sie erkannte, dass das Bauwerk um ihren Körper so empfindlich war wie ein Turm aus Zündhölzern, mit Kinderhänden gestapelt.
Er lugte über die Felstrümmer zu ihr nach unten. Turids Atmung wurde flacher, ihre Eingeweide zogen sich zusammen. Es war die uralte Reaktion eines Tieres, das merkt, wie sich etwas Großes und Schweres einen Weg zu ihm bahnt, unweigerlich. Selbst wenn der Fall den Mann in tausend Teile gespalten hätte – solange eine einzige Gliedmaße übrig war, um seine Tat zu vollenden, konnte ihn nichts aufhalten. Beinahe geduldig schnaufte er, richtete sich auf, schwankte vorsichtig – als hätte er auf einmal alle Zeit der Welt und als fiele ihm jetzt wieder ein, dass er seinen Leib auch schonen könne.
Es würde nur von kurzer Dauer sein. Das Echo umwallte sein anschwellendes Herz, den stärker werdenden Puls, die pumpenden Lungen. Bald würde er es in allen Zügen genießen, seine Beute in die Enge getrieben zu haben. Die Jagd war beendet, das wussten sie beide.
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Turid und die Finsternis
FantasíaDie Hinrichtung einer jungen Frau steht kurz bevor. Um ihre Würde zu bewahren, akzeptiert sie einen grausamen Tod: Sie soll einem Ungeheuer zum Fraß vorgeworfen werden. Ihr Schicksal nimmt eine Wendung, als das Wesen - scheinbar halb Mensch, halb T...