Kapitel 92. Ein Plan

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„Kannst du es schon..."

„Nein. Hör endlich auf, zu fragen." Ihr Ton war nicht scharf, sondern sorgenvoll. Sie dachte nach, während er sie an der Hand durch die Tunnel führte.

„Die Gänge engen den Schall ein. Bald."

Er hatte ihr jede Einzelheit der gewaltigen Höhle erzählt. Zersplitterte Felsen und eine Schlucht so tief, dass Beowulf den Boden nicht sehen konnte? Das reichte, um eine Gänsehaut zu bekommen. Aber wenn es stimmte, was er sagte – dass das Meer von außen gegen die Wände schwappte – dann war die Küste direkt über ihnen. Das hieß, dass sie oben waren. Weit oben.

Turid starrte in die Finsternis über ihrem Kopf. Es war überwältigend, sich vorzustellen, nur zwanzig, dreißig Schritte von der Wasseroberfläche entfernt zu sein, wo frischer Wind einem die Haare zerzauste.

Beowulf blieb stehen.

„Was ist?"

„Ab hier hätte Hadubrand freies Feld."

Sie seufzte und verschränkte ihre Finger fest mit seinen. Der Wille, vor dem Ungeheuer davonzulaufen, war mit Beowulf zurückgekehrt, doch das hieß gar nichts. Sie brauchte nur einmal zu stolpern und das Bein würde ihr den Garaus machen.

„Du hast gesagt, er war nie bei der Schlucht."

„Sie macht ihm Angst. Genau wie uns, oder? Aber wir gehen trotzdem hin und das wird er auch tun."

„Er muss Umwege nehmen. Noch haben wir Zeit."

„Etwas..."

Sie nickte. „Schätze, wir brauchen einfach Glück."

Er überreichte ihr wortlos den Dolch.

Eine Weile lang ging es still voran, wobei ihr nicht entging, dass der Weg bergauf führte. Ja, nur weiter nach oben, jubelte ihre innere Stimme mit kindlicher Freude. Als er endlich langsamer wurde, spürte Turid bereits den Luftzug wie einen bösen Vorboten auf sich zuschweben.

„Beowulf", sagte sie, bevor er sie weiter Richtung Höhle ziehen konnte.

„Was?"

„Danke."

Er brummte und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Es ist mir ernst. Ich will nichts sehnlicher, als dich hier rauszubekommen."

„Weiß ich doch", sagte sie.

Die Dunkelheit wurde kälter, feuchter. Turid spürte, dass da etwas Großes vor ihnen lag, und ihr Magen zog sich zusammen. Dann kam Wind auf, sie hörte Wasser fließen, Beowulf hielt inne. „Der Abstieg wird nicht leicht."

„Das schaffen wir. Miteinander." Sie glaubte zwar noch immer nicht, dass seine Entdeckung die Hoffnung wert war, doch er hatte es versucht, all den Hindernissen zum Trotz. Und wie schrecklich musste an seinem Verstand zweifeln, seit er erkannt hatte, dass das, was im Bach passiert war, keinen Sinn ergab!

Turid umschloss fest seinen Oberarm und drückte ihn vorwärts. Er zögerte. Auch er musste dieses Verlangen haben, sich in einer engen Spalte zu verkriechen und nie wieder hervorzukommen. Es kribbelte in ihrem Rücken, fast war es ein Schmerz.

Beowulf schob sie hinter sich. „Ich bin froh, dass ich den Abgrund nicht sehen kann", sagte sie, als er den ersten Fuß auf eine Steinplatte setzte.

„Kann ich auch nicht. Noch nicht."

Ein paar Schritte noch führte er sie weiter, sie spürte, wie unsicher er ging. Dann keuchte er auf.

„Beowulf?"

Turid und die FinsternisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt