Kapitel 44. Theater

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Er brachte ihr keine Überraschungen – nur Algen. Was hätte er sonst auch finden können, sagte sie sich und zupfte die feuchten Fasern traurig auseinander. Käfer und Fische waren so rar wie die Zeit, die er für ihre Suche gebraucht hätte, und wenn Turid genauer darüber nachdachte, so hätte sie auch nicht mehr von Beowulf gewollt. Teils aus Ungeduld, teils weil er bei seiner Rückkehr noch immer mehr tot als lebendig war.

Durch sein Keuchen angekündigt, ächzend und schleifend die Schräge hinuntergerutscht, wie ein Sack Mehl gelandet; das war übrig von der einstigen Eleganz, mit der er wie ein Raubtier durch die Finsternis geschritten war. Mittlerweile fragte Turid sich nicht mehr wann, sondern ob er sich erholen würde. Sie öffnete den Mund, nur um ihn schnell wieder zu schließen, aber da war es schon zu spät.

„Hm?", machte er. „Was?"

Er lag wieder unter der Schräge, den Kopf wahrscheinlich auf die gezackte Kante gebettet. Dass sie einen Satz herausbrachte, hing allein damit zusammen, dass seine Stimme nicht so mürrisch brummte wie früher. Bloß müde. Ehe sie wusste, wie ihr geschah, schwappte ihr wieder das Mitleid im Magen umher wie ein dunkles Gebräu. „Danke", sagte sie, „ehrlich."

„Ah, Turid, sind nur Algen", meinte Beowulf, als wollte er sie tadeln.

Sie nickte. „Aber so, wie es mit dir steht – das wollte ich nur sagen – ähm..." Was wie so oft folgte, war die Stille, denn Turid tapste nur betreten im Staub herum.

„Geht schon wieder." Ihr war, als könne sie sein Achselzucken sehen – und seine Augenringe hören.

„Lügen sind keine gute Grundlage für eine Gefährtenschaft", murmelte sie und ließ eine Strähne Grünzeug in ihrem Mund verschwinden. Als sei sie kein Mensch, sondern eine Art Wiederkäuer, für den unbekömmliche Pflanzen zu verschlingen selbstverständlich war.

Sogleich musste sie feststellen, dass es wohl tatsächlich so war, wie Beowulf gesagt hatte: Ganz ruiniert war er nicht oder zumindest allmählich nicht mehr. Sein Ton zischte, sowie er zurückschlug, in der alten Schärfe und nur ein wenig angekratzt: „Gefährtenschaft? Bist du bei Sinnen?"

Turid zuckte kaum zurück, sie betrachtete den Stimmungswechsel lediglich mit gehobenen Brauen. Beowulf hingegen hätte sich im selben Augenblick ohrfeigen können. Er hatte schnell, unüberlegt und fürchterlich präzise die Wahrheit gesagt; sonst waren es immer die Lügen, die ihm so leicht von den Lippen glitten. „Vergiss es", meinte er, „ich habe nicht darüber nachgedacht."

Turid lachte. „Gefiele dir Wandergesellen besser?"

„Es ist nicht die Wahl deiner Worte, die mir nicht zusagt, und das weißt du", brummte er.

Sofort trat ein falscher ernster Ausdruck auf ihr Gesicht. „Hier unten findet man Gefallen am Provozieren seiner Höhlenmitbewohner, ich zumindest, auch als Frau. Ganz unschicklich, oder nicht? Tut mir leid." Dass sie währenddessen weiter an einer Handvoll Algen mümmelte, ließen ihre Geständnisse klingen wie das Gedicht eines Narren. Den Hunger hatte leider nicht einmal das Gift, das sie sich unter angestrengtem Lippenkauen aus diesem ledrigen Ding verabreicht hatte, im Griff.

Und dennoch: Was sie gesagt hatte, stimmte. In der Höhle blieb ihr nur das Wort, um der Welt zu zeigen, dass sie immer noch da war, denn sonst könnte sie ja auch einfach schwarz sein wie alles andere, ein Nichts. Und dieses Wort war tückischer geworden, als sie es je geahnt haben könnte. Für Turid gehörte diese Verwandlung zu ihrer Geschichte wie der Schnee zum Winter, so einleuchtend, wie sie gekommen war, auch wenn sie nicht wusste, warum: Sie fühlte sich wie ein alter Soldat, der sich dunkel an die Tage zurückerinnert, als er grün und ängstlich hinter den Ohren war. Damals, als man vom Behüteten zum Verzweifelten wurde, ohne währenddessen einen Schimmer zu haben, was das Schicksal einem antun konnte. Jetzt war sie versehrt, aber klüger, vor allem im Umgang mit einsamen Menschenseelen in der Finsternis.

Turid und die FinsternisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt