Warnung: Dieses Kapitel ist nichts für zarte Gemüter.
~
„Bevor ich sterbe", flüsterte er an ihr Ohr, das nächste Wort wurde von einem Gurgeln verschluckt, denn Beowulf spuckte sein Blut zu Boden. Es stank nach einer schweren Süße, buttriger und salziger als frisch ausgekochtes Fett und doch leer wie kalte Asche. Turid brachte kein Husten zustande: Seine Finger machten der Totenstarre alle Ehre, so, wie sie sich in ihre Luftröhre bohrten und dort als ein abstraktes Gebilde aus fünf knotigen Gewächsen liegen blieben, mehr wie rachsüchtiger Efeu auf ihrer Haut als eine menschliche Hand. Nicht minder leblos war sein Körper, der Turid ganz von selbst wissen ließ, dass er noch an einem Stück war – indem er sie zerquetschte.
Nimm mich nicht mit, wohin du gehst, flehte sie stumm zu ihm hinauf. Über die Lippen kam ihr nur ein Wimmern.
Beowulf hörte es; sofort war sie frei. Während sie sich unter seinen Beinen hervorstrampelte, erbrach er vor Anstrengung einen weiteren Schwall Blut.
Turid griff nach ihm. Zwei Schreie folgten; seiner unerträglich gequält, der ihre voller Ekel. Der warme Matsch, in dem die Hand gelandet war, kullerte ihr wie Tränen die Fingerkuppen hinunter.
„Nicht dorthin", röchelte er, während er sich auf dem Boden wand, und dann immer wieder, „nicht dorthin, nicht dorthin."
Als Turid endlich seinen Kragen gefunden hatte und nach oben zog, befiel ihn die Angst. „Nicht dorthin", bat er jetzt mit kläglicher Stimme, und sie sagte: „Nein, mach ich nicht."
Mit einem dankbaren Seufzer, als habe sie ihm die größte Gnade erwiesen, ließ er sich sinken. In ihren Armen entbrannte ein Feuer, das sie dazu zwang, sein Gewicht behutsam dem Felsen zu übergeben. Sogleich beugte sie sich über die offene Wunde in seinem Bauch. Turid hatte Sorge, ihre Tränen würden auf dem rohen Fleisch schrecklich brennen, aber es stahl sich kein einziger Tropfen aus ihren Augenwinkeln. Vielleicht verletzte das Beowulf umso mehr.
„Alles zerstört und das so schnell", sagte sie. Er machte ein Geräusch, das ein unterdrückter Schmerzenslaut genauso gut hätte sein können wie ein Ja. „Wenn ich nur wüsste, ob du es verdient hast."
Turid verstummte, die Finger noch immer im durchweichten Stoff vergraben. Sie musste an das Hemd des Eroberers im Graben denken, ausgerechnet jetzt. Damals hatte in einem Unbekannten ihren Verbündeten gesehen – und es folgte bittere Enttäuschung, dann der Tod.
Mit Beowulf war es genauso gekommen.
Eine Zorneswelle rollte über sie hinweg. Schwungvoll setzte sie sich auf seine Knie und schob die Finger unter seine Kleidung, doch er bettelte nicht weiter. Splitter seiner Knochen bewegten sich unter heißer Haut und blutverschmierten Haaren, aber diesmal brachte er kein Stöhnen mehr hervor. Sein Herz pulsierte gerade einmal so stark wie die Ader an ihrem Handgelenk. Er war bewusstlos.
Sie tastete weiter, fand einen Abgrund unterhalb der Rippen, der sie an die jähe Tiefe all jener Steinkanten erinnerte, die in dieser Höhle im Nichts endeten. In Beowulfs Loch war kein Nichts, sondern weiche Wärme: Eingeweide. Nur eine Membran, hauchdünn wie der Flügel einer Stubenfliege, trennte Turid von seinem Kern.
Nach einem kurzen Zögern fuhr sie fort. Ihre kalten Augen verrieten, dass es sie nicht störte, Beowulf den Preis für ihre Blindheit zahlen zu lassen.
Er regte sich noch immer nicht, als sie die Hand weiterwandern ließ. Kurz über dem Hosenbund – so erfuhr sie auch, dass er einen Gürtel trug – bedeckte wieder Haut das empfindliche Gewebe, an den Rändern ausgefranst und schmierig. Und auf einmal entschlüpfte ihr doch ein gepeinigtes Schluchzen. Rechts endete der Schnitt sauber, da konnte sich Hadubrand mit jedem Henker messen. Als sich jedoch zur linken Seite hin sogar die Membran öffnete, wurde immer breiiger, was nicht Brei hätte sein sollen. Darüber hing die Bauchdecke wie eine aufgeklappte Buchseite. Übelkeit und Schwindel ließen vor ihren Augen Sterne tanzen.
DU LIEST GERADE
Turid und die Finsternis
FantasyDie Hinrichtung einer jungen Frau steht kurz bevor. Um ihre Würde zu bewahren, akzeptiert sie einen grausamen Tod: Sie soll einem Ungeheuer zum Fraß vorgeworfen werden. Ihr Schicksal nimmt eine Wendung, als das Wesen - scheinbar halb Mensch, halb T...