Kapitel 68. Manchmal habe ich Angst

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Hüfthoch im Wasser, und sie fröstelte. Es war in den frühen Morgenstunden, dass sie das schiefe Gebilde aus Brettern und Seil in die Tiefe schoben, wo es unheilvoll in die Schwärze ragte und zu knarzen begann, als die Strömung es erfasste. Turid zog sich die Reste der Wolldecke fester um die Schultern. Der Sommer war fort.

„Hierüber", sagte Beowulf gedämpft. Turid nickte.

Er ächzte und zog sich mit einem Ruck auf das Floß. Sie packte das Seil mit beiden Händen und klammerte sich am Uferfelsen fest, während Beowulf sie zu leiten versuchte.

„Am Felsen vorbei... links... nein, nicht so weit", meinte er; das Holz bockte auf den Wellen wie ein scheuer Esel. „Verzeih. Der Stein ist rutschig, aber du schaffst es."

Ich muss, dachte sie. Aber sie vertraute ihm – immer noch. Den Vorfall hatten sie nicht mehr erwähnt und Turid hoffte, dass es so blieb.

Es ging tiefer, der Tümpel reichte ihr nun bis zur Brust. „Jetzt?"

„Noch nicht."

Ein weiterer Schritt. Weich streichelten die Algen ihre nackten Zehen.

„Jetzt?"

Er schien die Luft anzuhalten. „Warte. Einen Moment noch."

Leere unter ihren Fußsohlen.

„Warte – warte – jetzt."

Turid stieß sich mit ihrem gesunden Bein ab und warf sich auf die Planken. An der glitschigen Oberfläche rutschte sie ab, doch sofort spürte sie Beowulfs starken Griff an ihrem Oberarm – er zog sie nach oben, wie er es versprochen hatte. Ein kurzer Kampf gegen das Gleichgewicht, dann war sie in Sicherheit.

Viel Platz war da allerdings nicht. Ihre Zehen lugten ins Wasser, direkt neben ihr schnaufte Beowulf, und bei der ersten Regung stieß sie mit dem Kopf gegen das erhöhte Brett für ihre Vorräte. Ein riesiger Ballen Algen hing davon hinunter, unter dem sich hier und da ein Stück Fleisch des Eroberers versteckte. Jedes einzelne davon ein Unglücksbote, ginge es nach ihr.

Turid rieb sich erschöpft die schmerzende Stirn. „Wir können uns später ausruhen", krächzte sie und stieß ihm sacht in die Seite. „Die Quelle ist nicht mehr weit." Ihr Sprung musste sie weit in den Tümpel hineingetragen haben, denn je näher sie dem Brodeln kamen, desto wärmer wurde es. Keiner von beiden wusste, wie stark die Strömung dort war. Vielleicht würde der Sog sie nach unten reißen oder das Wasser sie durch die Planken spritzend verbrühen. Dennoch sah Turid der Flucht stoisch entgegen, und Beowulf sagte wie immer nichts.

„Glaubst du, dass wir ertrinken?", wollte sie leise wissen.

Beowulf seufzte, und ihr wurde klar, dass er angestrengt in die Ferne starrte. „Ich kann noch immer keinen Ausgang erkennen. Aber es ist einerlei –", er klang niedergeschlagen, „wenn der Fluss uns nicht bekommt, dann Hadubrand."

„Hadubrand ist zu groß, um hierher zu gelangen."

„Glaubst du das wirklich? Und wenn es doch ein Schlupfloch gibt?"

„Dann wird sein Geruch uns warnen."

Beowulf sagte nichts. Turid war sich ihrer Sache sicher, doch sie spürte seine Angst. „Ich will diesen Ausgang mehr als alles andere."

„Ich weiß doch", sagte er. Er dachte: Wahrscheinlich würdest du dafür töten. Tja, und wen...?

Eine Welle platschte unvermittelt gegen ihr Floß und warf es nach oben. Den Bruchteil einer Sekunde brauchte es, um aus der Schwebe in die Schwerkraft zu fallen, dann tat es einen Ruck und schlug zurück aufs Wasser. Turid entfuhr ein überraschter Laut, Beowulf ein schmerzerfülltes Japsen. Als sie wieder waagrecht durch den Tümpel rauschten, schien sie lachen und er weinen zu wollen.

Turid und die FinsternisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt