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Turid hatte Beowulf noch um das Gift bitten wollen, sich schlussendlich aber dagegen entschieden. Sie brauchte es noch nicht, belog sie sich, als er mit dem Versprechen verschwand, diesmal wirklich bald wiederzukehren. Er sagte ihr dabei die ganze Wahrheit, nämlich dass sein Zustand es gerade so wieder erlaubte, wieder auf Nahrungssuche für sie zu gehen. Er wolle etwas Besseres für sie finden als Algen, die sie nicht vertrug. Nur wenige Sekunden brauchte er, um zögerlich hinzuzufügen, dass außerdem Hadubrand nach ihr sehen wolle. Woher Beowulf das wusste, würde Turid noch eine ganze Weile ein Rätsel bleiben.
Guter Laune bettete sie den Kopf auf den leeren Leinensack. Das neu geschaffene Seil, fett wie eine träge Schlange, malte ein schwungvolles Muster um ihren Körper. Bevor sie die Augen schloss, ließ sie es immer wieder durch die Hände gleichen, zurrte daran, liebkoste es mit ihren Fingern. Keine Häkelarbeit in ihrem ganzen Leben hatte sie je so stolz gemacht.
Dann kam der Traum.
Es war, als ahnte ihr Geist, was allzu bald geschehen würde und wandelte die Katastrophe, die so dunkel und langsam heranschlich wie ein hohläugiges Raubtier – im eigentlichen Sinne war dies sogar wörtlich zu nehmen – in die Bedrohung um, die sie schon kannte, die sie am eigenen Leib erlebt hatte. Das erste, das ihr Traum-Ich, verwirrt und bodenlos, verspürte, war ein fester Griff an ihrem zweifach gebrochenen Bein, der den Oberschenkelknochen wie einen Weidenzweig auseinanderbog – viel weiter, als es an einem echten Köper je möglich gewesen wäre. Für die schlafende Turid war dieser Griff jedoch wirklicher als jede Realität, sie spürte sogar den Schmerz, wenn auch mehr als Wort denn als ein Gefühl, das ihre Sinne in Flammen aufgehen ließ.
Sie zuckte und schlug wild um sich, wollte einen Peiniger vertreiben, der nicht existierte. Ihre Füße trafen, so einsam sie in der Höhle nun einmal war, nur schwarze Luft; im Traum duckte sich das Wesen ständig weg und sprang behände zur Seite, ohne dass sie es auch nur einmal erwischte. Es war groß und struppig. Es hatte lange, graue Klauen und einen Kopf, dessen Gesicht der Eroberer war.
Ein Teil von ihr wunderte sich überraschend klar darüber, welch ein groteskes Bild ihr Geist dort erschaffen hatte; der andere Teil, der größere, der Instinkt, fürchtete sich vor ihm zu Tode. Der Gedanke an ein gigantisches Monster hätte sie an Hadubrand erinnern können, aber diese Verknüpfung blieb ihr völlig fern: So stellte sie sich Hadubrand schon lange nicht mehr vor, im Gegenteil. In ihrer Fantasie sah sie nur noch einen pelzigen Berg vor sich, dessen stämmige Glieder in leise Zehen übergingen, hier und da geziert von seinen Fortsätzen wie von ledrigem, lebendigem Schmuck, über den scharfen Zähnen ein Mienenspiel, das dem eines Haushundes ähnelte.
Nein, vor Hadubrand hatte sie keine Angst. Das wahre Ungeheuer war der Eroberer. Im Schlaf hörte sie ihn wieder Grollen, Schnauben; im Schlaf hatte er den Körper eines Biests, das sie zerreißen konnte, jenes Biests, das den Geräuschen, die er bei der Hatz vor vielen Monaten von sich gegeben hatte, würdig war. Das innere Biest, das – durch Beowulfs Gift! – einen Mann zu dem verwandelt hatte, dessen Natur dieser immer gehabt und nicht verhehlt hatte, nie: Die eines Tieres – selbst in der Oberwelt nicht.
Einen Augenblick lang dachte sie klar und wünschte sich, sie hätte daran gedacht, sich die Substanz von Beowulf verabreichen zu lassen, wusste sie doch, dass es sie in den wohldosierten Maßen ruhig und schmerzfrei schlafen ließ. Verblasste seine Wirkung, begannen das Leid und die Angst. Dummer Stolz, schimpfte sie sich, dann fegte das Gefühl zerquetschten Fleisches jede Vernunft hinweg und brachte sie zum Schreien.
Grrr, machte die Fratze des Eroberers hoch über ihrem Gesicht. Turids Lider zuckten, im Traum öffneten sie sich weit.
Schon hatte das Monster die Klauen auch in den anderen Schenkel gegraben und zwang Turids Beine auseinander, genauso langsam, wie er es damals getan hatte. Sein Grinsen konnte sie sehen, hörte ihn stumm Gibt es eigentlich Menschen hier unten? sagen, es klang sehr dumpf, wie ein Echo, bis seine Gürtelschnalle die Luft wieder scharf und klar entzweischnitt. In der Wirklichkeit hatte sie gekämpft und in dem Moment verloren, als das Knacken ihres Knochens in der Finsternis zerschellte; hier und jetzt kämpfte sie nicht, denn wie es in Träumen oft der Fall ist, konnte sie nicht. In der Wirklichkeit hatte Hadubrand sie gerade rechtzeitig gerettet. Hier, im Traum – nichts.
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Turid und die Finsternis
FantastikDie Hinrichtung einer jungen Frau steht kurz bevor. Um ihre Würde zu bewahren, akzeptiert sie einen grausamen Tod: Sie soll einem Ungeheuer zum Fraß vorgeworfen werden. Ihr Schicksal nimmt eine Wendung, als das Wesen - scheinbar halb Mensch, halb T...