Kapitel 22/ Frau Dr. Sommer

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Ich trage Kopfhörer, die ich heimlich von Jessica bekommen habe, in meinen Ohren und genieße die Musik aus ihnen

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Ich trage Kopfhörer, die ich heimlich von Jessica bekommen habe, in meinen Ohren und genieße die Musik aus ihnen. Es beruhigt mich, endlich wieder etwas Vertrautes um mich herum zu haben. Und Musik gehört nun mal zu der kleinen Sammlung meiner Lieblingssachen.

Der Bleistift streicht über das weiße Blatt vor mir und ich halte inne, als es an meiner Tür klopft. Die Zeichnung verstecke ich nicht, weil ich zuerst die laute Musik in meinen Ohren leiser mache. Plötzlich steht eine ältere Frau mit grauen lockigen Haaren, die in einen lockeren Zopf gebunden wurden, vor mir. Ich mustere ihre blaue Jeans, die bunt geblümte Bluse und den Block mit Stift in ihrer Hand. Sie wirkt lässig.

"Eva Faye, richtig? Ich bin Frau Doktor Sommer, eine jahrelang gelernte Jugendpsychologin. Freut mich", stellt sie sich vor, und beobachtet direkt meine Reaktion. Ich nicke, lächle knapp und schüttle ihre Hand, an der ein funkelnd goldener Ring steckt.

"Hallo", höre ich meine leise Stimme sagen. Dann beobachte ich Dr. Sommer, die sich einen Stuhl ran holt und sich neben mein Bett setzt. Die kurzen Beine überschlagen, die Schultern gerade.

"Also Eva, ich schlage vor, wir beginnen mit ein paar Informationen über dich. Einverstanden?", fragt sie und zieht eine fast unsichtbare Brille aus ihrem Dutt. Sie setzt sie auf und wirkt plötzlich so viel älter als vorher, doch ich nicke und stimme Frau Sommer zu.

"Supi. Du heißt Eva-Lilith-Alera Faye, bist noch 17 Jahre alt und wurdest am 10.10.2005 geboren. Deine Eltern sind Anwälte und du hast einen großen Bruder, richtig?", zählt sie auf. Ich nicke nachdenklich. Weiß sie von ihr?

"Also gut, Eva. Wie fühlst du dich heute?", fragt sie ehrlich lächelnd. Ich jedoch zucke bloß mit den Schultern.

"Wie immer eigentlich", lautet meine stumpfe Antwort. Frau Sommer schaut mich an und richtet sich auf.

"Was heißt wie immer? Sauer, Traurig, Glücklich, Gleichgültig?", gräbt sie tiefer und regt mich zum Nachdenken an. Wenige Minuten bleibe ich stumm.

"Niedergeschlagen und gleichgültig, denke ich", murmle ich leise, meine Stimme wird rauer. Sofort schreibt Frau Sommer etwas auf ihren Block.

"Hmm, das klingt nicht gut. Tut mir leid, wenn ich das jetzt einfach so frage, aber warst du schon einmal in professioneller therapeutischer Behandlung?", fragt sie leiser. Ich schüttle verneinend den Kopf und schaue auf meine Zeichnung, die ich durch Frau Dr. Sommer vergessen hatte. Ich nehme sie zur Hand.

"Hast du das gezeichnet? Das sieht super filigran aus, Eva. Cool", meint die Grauhaarige und lächelt. Wir beide schauen still auf meine Zeichnung.

"Soll eines meiner ersten Tattoos werden", spreche ich leise. Bis jetzt habe ich das noch nie jemandem erzählt.

"Wow, echt? Was bedeutet es denn?", fragt Dr. Sommer höflich, als wolle sie mir nicht zu nahe treten. Ich verstumme kurzzeitig und starre auf meine Zeichnung.

 Ich verstumme kurzzeitig und starre auf meine Zeichnung

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"Das bin ich, einen Joint rauchend.
Ich weine, genau wie die Illusion an meiner Schläfe. Sie küsst mich dort, wo ich mir öfters gern eine Kugel hineinjagen will. Verständlich", erkläre ich mich. Zu spät bemerke ich jedoch, dass ich dies lieber keiner Psychologin erzählen sollte, sonst bin ich schneller in der Klapse, als ich "Spaß" sagen kann. Doch es ist zu spät und Doktor Sommer schaut mich bereits ernst an.
Ich spüre es, starre jedoch weiterhin auf meine Zeichnung.

"Eva, ich muss dich nun leider ernst fragen. Wolltest du dich mit dem Unfall umbringen?", fragt sie ernst. Ich schüttle den Kopf verneinend, auch wenn dieser plötzlich etwas anderes sagt. Flüsternd, ganz hinten, in der letzten Ecke. Ganz leise. Fast schon unmerklich.

"Und sag mir, Eva, hast du diese Gedanken oft? Wie oft genau?", stellt sie direkt zwei Fragen zusammen. Ich denke nach, entscheide mich für die Wahrheit und nicke knapp. Sofort schreibt Dr. Sommer etwas auf, während sie auf die zweite Antwort wartet.

"In Momenten, in denen ich allein bin. Nach der Schule, Nachts, im Auto oder wenn ich getanzt habe", erkläre ich mich ruhig. Mein Herz schreit nach Hilfe, mein Kopf zeigt Abneigung.

"Das ist überhaupt nicht gut, Eva. Das ist absolut schrecklich. Warst du schon einmal so weit, dass du dich um-", setzt sie an, doch ich unterbreche sie sofort. Ich weiß, was Dr. Sommer nun sagen will und finde, nun geht sie zu weit.

"Nein."

"Okay, gut. Sehr gut", spricht sie und wirkt erleichtert. Wenn sie mich nicht schon vorher in die Klapse stecken wollte, will sie es jetzt definitiv.

"Eine letzte Frage für heute habe ich noch, dann lasse ich dich vorerst mit den ganzen Gedanken in Frieden. 
Eva, warum hattest du die Augen geschlossen, während du zu schnell über die Landstraße gefahren bist?"

Ich denke nach. Die Antwort fällt mir sofort ein. Ich denke an Lucian, an gestern. Und ich werde stumm.

"Wegen Lucian, meinem Nachbarn.
Ich wollte nach einer unserer kleinen Auseinandersetzung abhauen, so wie er es sonst immer tut, doch habe ich verkackt und bin im Krankenhaus gelandet. Ich habe mich im Fahrtwind frei gefühlt und hatte Lust, die Augen zu schließen. Ehrlich gesagt fahre ich immer ohne Helm und hatte mich auf meine Erfahrungen verlassen", erkläre ich schwerfällig. Es fällt mir schwer, über Lucian zu reden, weil es schmerzt. Erst seine Worte, dann seine Flucht.
Lucian verletzt mich. Bewusst oder auch unbewusst.

Die nächsten Kapitel werden wieder länger, versprochen.

Bad Neighbor | Don't Lose Your HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt