Kapitel 10/ Dornröschen wachküssen

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"Lucian Richardson, komm gefälligst zum Essen!", brüllt die klare Stimme meiner Mutter quer durch das komplette Haus, weckt mich aus meinem Schlaf und erschreckt wahrscheinlich sogar die Vögel in unseren Bäumen

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"Lucian Richardson, komm gefälligst zum Essen!", brüllt die klare Stimme meiner Mutter quer durch das komplette Haus, weckt mich aus meinem Schlaf und erschreckt wahrscheinlich sogar die Vögel in unseren Bäumen. Langsam drehe ich mich auf den Rücken, setze mich auf und steige aus meinem Bett, das lauter als meine Mum nach mir schreit. Doch weil ich nicht will, dass meine Mum sauer wird, ziehe ich mir schnell ein beliebiges Shirt über den Kopf und trotte langsam die hellbraunen Treppen hinunter.

In der Küche angekommen finde ich einen bereits gedeckten Tisch und meine Familie am Tisch sitzend vor.
Gähnend lasse ich mich auf meinen Stuhl fallen und greife nach einem Brötchen aus dem Körbchen meiner Mutter.

"Lucian!", ertönt plötzlich die schrille Stimme meiner Schwester, als ich dabei bin, herzhaft in mein belegtes Brötchen zu beißen. Unmerklich zucke ich zusammen und hebe den Kopf, um zu meiner kleinen Schwester, die mir gegenüber sitzt, zu schauen.

"Wir haben heute Nachmittag die hübsche Nachbarin getroffen", erzählt Alina und bindet sich ihr Haar in einen Zopf. Mein Blick schweift zu meiner Mum, die neben meiner Schwester sitzt und an ihrem Kräutertee nippt.

"Eva?", frage ich kauend, was meine Mum mit einem bösen Blick bewertet.
Schnell kaue ich aus und stelle meine Frage erneut, was meine Schwester plötzlich laut kichern lässt, und ihre große Zahnlücke präsentiert.

"Du findest Eva hübsch?", kichert sie und grinst mich frech an, während sie mir die Worte im Mund umdreht. Ich schaue meine Schwester ausdruckslos an und kneife meine Augen spielerisch zusammen. 

"Das habe ich nie behauptet, du Hexe", antworte ich und schaue zu meiner Mutter, die mich aufgeheitert angrinst. Oh nein, lass sie bitte nicht denken, dass ich auf Eva stehe.

"Aber du hast es gedacht, ich weiß es.
Lucian liebt Eva, Lucian liebt Eva!", beginnt die kleine Hexe, meist auch Schwester genannt, laut zu singen. Ich schaue hilflos zu meiner Mutter, die mich bloß augenbrauenwackelnd anschaut und dann zu meinem Dad, der mich ebenfalls mit zuckenden Mundwinkeln mustert.

"Na danke auch", brumme ich und verkneife mir ein Schmunzeln, während ich in mein Brötchen beiße. Als meine Mum sich aufrichtet und reden will, kaue ich einfach beleidigt weiter und schenke dem Brötchen meine volle Aufmerksamkeit.

"Aber jetzt mal ehrlich, Eva ist wirklich toll. Ich habe gerade Alina gefilmt, da hat ein Pferd an meinem Kleid gezogen, und als ich mich umgedreht habe, saß da plötzlich ein hübsches Cowgirl auf einer riesigen Fuchsstute", erzählt meine Mutter lächelnd, während sie sich ihr Brot belegt. Alina schaut mit funkelnden Augen vom Teller auf.

"Eva hat in einem echten Westernsattel gesessen und die Sonne hinter ihr hat so geschienen, dass es aussah, als wäre das Sonnenlicht bloß auf sie und ihre Stute Thunder gerichtet. Eva ist soo hübsch, und sie hatte sogar einen Cowboyhut auf. Wie bei Bibi und Tina in den Filmen!", ergänzt meine Schwester schwärmend, während sie verträumt in die Luft starrt.

Mein Vater beginnt leise zu lachen, und auch ich schmunzle. Jedoch nicht wegen meiner Schwester, sondern wegen der Vorstellung, wie Eva auf einem großen, hübschen Pferd in Westernausrüstung und einem Cowboyhut sitzt. Wie im Film.

"Alina schau mal..dein Bruder träumt gerade von einem hübschen Cowgirl auf einer Fuchsstute", höre ich meine Mutter lachen und schaue schnell von meinem Teller auf. Feindselig schaue ich zu, wie beide plötzlich beginnen zu kichern und mich verschwörerisch lächelnd ansehen. Fehlt nur noch, dass sie sich die Hände aneinander reiben und irgendwas heraufbeschwören.

Mein Vater, der bis jetzt nur still zugesehen hat, stößt mich an und grinst, was mir minimale Hoffnung schenkt und ich ihn bittend ansehe.

"Mach dir nichts draus. Wir finden Eva genauso toll wie du, also darf sie gern unsere Schwiegertochter werden", grinst er und lässt somit meine letzte Hoffnung, dass wenigstens er auf meiner Seite steht, in Luft auflösen.

"Du denkst direkt an eine Hochzeit, was kommt als Nächstes? Eine Villa und drei Enkelkinder für euch?", frage ich empört, und schaue über den gedeckten Abendbrottisch. Dass meine Mutter aber beginnt zu grinsen und Alina anfängt nickend zu lachen, geht jedoch gegen meine Erwartung.

Eingeschnappt stopfe ich mir mein Brötchen in den Mund, trinke mein Glas Wasser aus und stehe mit einer einfachen Entschuldigung vom Stuhl auf. Gerade als ich an der Treppe stehe, höre ich die kleine Hexe in der Küche lachen und sagen:

"Jetzt springt er über den Balkon zu Eva und küsst sie wie Dornröschen wach"

Kopfschüttelnd gehe ich die Treppen nach oben, kann mir ein Grinsen aber nicht verkneifen. Über den Balkon springen und Eva küssen würde klappen. Nur würde ich gern wissen, woher Alina weiß, wie nah unsere Balkons aneinander sind und ob unsere Eltern und sie wissen, dass Dornröschen eigentlich vergewaltigt wurde. Nun gut.

__Later__

Schon seit sechs Stunden liege ich wach in meinem Bett, starre durch die offene Balkontüre direkt auf Evas Balkon und in die Dunkelheit. Ich erinnere mich an die erste Nacht, in der ich sie sah. Wie sie in einem langen Shirt, ohne Schuhe und wild abstehenden Haaren auf den Balkon gelaufen ist, sich die Tränen aus dem Gesicht gewischt hat und einfach einen Joint geraucht hat, als würde sie das Ganze schon 100 Mal durchlebt haben. Wie sie geschaut hat, als sie meine dunkle Statue inmitten des leeren Raumes gesehen hat, und einfach abgehauen ist.

Immer noch nicht weiß sie, wie meine obere Gesichtshälfte aussieht. Wie mein Haar, meine Augen oder Augenbrauen aussehen. Sie weiß nicht einmal, ob ich vielleicht versuche, meine Hässlichkeit zu verstecken. Doch trotzdem starrt sie mich jedes verfickte Mal an, als wäre ich ein wertvoller Diamant in einem Glaskasten. Als würde sie bereits wissen, wie ich unter der Kapuze aussehe. Doch bald wird sie es erfahren. Bald, Eva, Bald.

Bad Neighbor | Don't Lose Your HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt