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Im Behandlungszimmer wartet bereits Tabea auf mich. „Hey. Ich drücke deiner Mama die Daumen. Sie ist stark, sie schafft das.", sagt sie und lächelt mir zu. Ich nicke und werde dann mithilfe von Phil auf die Liege gelegt. Mir ist immer noch nicht ganz wohl bei Tabea, da ich so noch überhaupt nicht kenne. Bei Phil ist es mittlerweile anders. Am Anfang habe ich ihn gehasst aber jetzt vertraue ich ihn schon etwas und weiß, dass er eigentlich keine bösen Absichten hat. Hoffen wir mal. Plötzlich greift sie nach meinem Oberteil, was mich zusammenzucken lässt und ich nach ihrem Handgelenk greife, damit sie aufhört. „Entschuldigung, ich wollte dich nicht erschrecken.", entschuldigt sie sich und entfernt ihre Hände von mir. „Schon gut.", sage ich und lasse langsam ihr Handgelenk los. Phil, der neben meinem Kopf steht, legt seine Hand auf meine Schulter, was mich etwas entspannen lässt. Daraufhin hebe ich mein Oberteil selber hoch und lasse sie an die Wunde. Sie zieht vorsichtig das Pflaster ab und tastet dann ein paar mal an den Wundrändern. „Tut hier noch was weh?", fragt sie, was ich mit einem Kopfschütteln beantworte. Dann klebt sie mir ein frisches Pflaster drauf und zieht mein Oberteil wieder nach unten. „Okay die Wunde sieht gut aus. Ich denke, dass du morgen schon gehen kannst. Hast du irgendwelche Verwandten, wo du hin kannst?", fragt sie, da ich sonst alleine zuhause wäre. „Nein. Meine Familie ist ziemlich klein und die meisten sind schon gestorben oder ausgewandert.", sage ich traurig. Meine Großeltern sind nach Amerika ausgewandert, meine Tante ist in München und der Rest ist gestorben. „Mhm verstehe. Dann müssen wir leider das Jugendamt informieren. Die kommen dann morgen früh vorbei und besprechen das mit dir.", erklärt Tabea. Danach darf ich wieder auf mein Zimmer.

„Das klingt doch gut.", kommt von Phil, der sich auf einen Stuhl nieder lässt. „Gut? Spinnst du irgendwie?", sage ich genervt und halte mir dann die Hand vor dem Mund, als ich mir über meine Wortwahl klar werde. Mist, ich wollte mich doch ändern. „Tut mir leid. Ich möchte nur nicht ins Heim.", verbessere ich mich nochmal und lege mich dann in mein Bett. Er steht auf und setzt sich zu mir. „Das kann ich verstehen. Was hältst du davon, wenn du, solange deine Mama im Krankenhaus ist, mit zu mir kommst?", schlägt er plötzlich vor. Hat er das gerade echt gesagt? Nach all dem, wie ich zu ihm war und was ich zu ihm gesagt habe. „Äh.", kommt nur aus meinem Mund. „Denk drüber nach. Es gibt nur ein Problem.", sagt er und sieht mich eindringlich an. „W-welches?", stottere ich, da ich dieses Problem eigentlich nicht hören will. „Es ist so, ich wohne nicht alleine. Mit mir zusammen leben ein paar andere Ärzte. Unter anderem auch Tabea.", erklärt er mir das Problem. Oh, das ist echt blöd. Ich, die mit der größten Angst vor Ärzten soll in einer Ärzte-Wg wohnen. Lustig.
„Ich, ich muss darüber nachdenken Phil.", sage ich und beginne dann zu denken. Was wären denn die negativen Dinge, wenn ich es machen würde? Okay, ich könnte Panikattacken bekommen. Diese könnten sie schnell in den Griff bekommen. Was noch? Ich könnte mich nicht wohl fühlen, was Phil schon gar nicht zulassen würde. Also wo ist das Problem? Ich weiß es selber nicht. „Wir können es probieren.", sage ich, jedoch noch immer mit einem ängstlichen Ton, da ich mir noch nicht zu 100% sicher bin. „Schön. Also mit mir wohnen noch Tabea, dann ein Alex, der ist Notarzt. Er wirkt auf den ersten Blick vielleicht etwas streng, ist aber ein ganz lustiger. Dann gibt es noch die Paula. Sie ist eine ganz liebe Notärztin und hilft ab und zu hier in der Klinik aus. Ich denke, du wirst dich gut mit ihr verstehen. Und ja, zu guter letzt gibt es noch Miriam. Sie ist hier Ärztin in der Klinik, mal auf der Internistischen Station und mal in der Notaufnahme. Sie ist viel auf der Arbeit, da sie noch Assistenzärztin ist aber sie ist genauso nett. Wie du siehst, haben wir nur zwei Männer, mich und Alex. Mich kennst du ja schon und Alex ist echt super. Du wirst sehen.", so stellt Phil mir die WG vor. Wow echt viele Ärzte unter einem Dach. „Phil?", frage ich. Er hebt die Augenbrauen und sieht mich fragend an. „Wenn ich zu sehr Angst bekomme, hilfst du mir dann?", wow wer hätte gedacht, dass ich jemals so mit ihm rede? Der feind ist dein bester Freund oder was? „Natürlich Liv. Darauf kannst du dich verlassen.", antwortet er mir und streicht über meinen Arm. „So und jetzt ruh dich ein Weilchen aus. Ich kläre das ab und morgen kommst du mit zu uns.", fügt er hinzu, deckt mich zu und geht.

Irgendwann werde ich wach und sehe, dass die Sonne aufgeht. Ich stecke mich einmal kräftig und sitze dann tatenlos auf dem Bett rum. Plötzlich klopft es und Phil kommt rein. „Was machst du denn schon hier?", frage ich und werfe einen Blick auf mein Handy. 07:15 Uhr. Viel zu früh, für die Besuchszeit. „Liv. Ich habe mit dem Jugendamt und meinen Mitbewohnern gesprochen.", beginnt er und setzt sich dann zu mir. „Und?", frage ich euphorisch. Alles ist besser, als ein Heim. „Naja, meine Mitbewohner wollen dich unbedingt bei uns haben. Das Jugendamt hat dies leider abgelehnt, da keiner von uns mit dir verwandt ist. Du musst leider in ein Heim.", antwortet er mir betrübt. Was? Nein! Das geht nicht, das können sie nicht machen. „Ich will aber nicht.", sage ich und bemerke die Tränen, die sich in meinen Augen sammeln. „Ich weiß, jedoch kann ich da gerade nicht mehr anrichten. Es tut mir leid.", antwortet er und legt seine Hand auf meine Schulter. „Es ist ja nur solange, bis deine Mutter wieder nach Hause kann.", fügt er hinzu und lächelt. „Wenn sie überhaupt nach Hause kann.", nuschle ich, doch natürlich versteht er es. „Hey Liv. Nicht so pessimistisch denken. Das kriegt sie schon hin.", versucht er mich aufzubauen, was leider nicht so wirklich klappt. Meine Angst um Mama ist einfach zu groß, dass ich optimistisch denken kann. „Das Heim wird schon nicht so schlimm sein. Ich komme dich auch besuchen, wenn du das möchtest.", sagt er, was ich durch ein Nicken beantworte.

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Man liest sich im nächsten Teil:)

Der Grund zum kämpfen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt