Bewegung

4 2 1
                                    

Nathans Wohnung war klein, und überall standen Möbel herum. An den Wänden befanden sich grobe Regale auf schlichten Winkeln, wie man sie zum Zusammenbauen im Baumarkt kauft. Auf einigen standen so viele Bücher, dass sich die Regalböden unter ihrem Gewicht bogen. Auf dem Couchtisch lagen Notizbücher und Schreibblöcke, die mit einer fast unleserlichen Handschrift beschrieben waren. Die Zimmer waren vollgestellt, aber nicht schmutzig.
„Entschuldige bitte diese Unordnung , sagte er und lächelte entschuldigend. Er sah kurz zur Treppe hinüber. Ein Song von Marilyn Manson dröhnte in voller Lautstärke aus einem der anderen Zimmer, dessen Tür geschlossen war. „Dreh das leiser, Jan !"
Die Lautstärke wurde einige Dezibel heruntergedreht. Nathan und ich standen einige Augenblicke lang etwas unbeholfen an der Tür. Ich nehme an, er war genauso unsicher wie ich.
„Kinder", sagte ich, zuckte mit den Schultern und sah mich nach dem Zimmer um, von dem ich annahm, dass es Jan gehörte.
„Gib mir deinen Mantel.«
Ich beobachtete Nathans Gesichtsausdruck, als er mir aus der Jacke half. Er sah meiner Meinung nach sehr jung aus, dafür, dass er einen Sohn in Jan Alter hatte. Aber dann fiel mir ein, dass Nathan ja ein paar Jahrhunderte alt sein konnte.
Nachdem er meinen Mantel an einem Haken neben der Tür aufgehängt hatte, schien er plötzlich energischer. „Hast du etwas zu dir genommen?" Er ging in Richtung Küche und bedeutete mit, ich solle folgen. „Ich habe noch ein paar A positiv." Ich wartete im Türrahmen und sah ihm dabei zu, wie er einige Beutel Blutkonserven aus dem Kühlschrank nahm. Dann griff er zum Teekessel, der auf der Trockenablage stand, öffnete den Deckel, riss mit den Zähnen eine Konserve auf und füllte den Inhalt hinein. Er machte das mit einer Routine, als würde er eine Tüte Chips öffnen. Danach zündete er die Flamme des Gasherdes an und stellte den Kessel darauf. Wiederum wirkte dies so natürlich, dass ich mich erst daran erinnern musste, dass normale Männer kein Blut in ihren Kühlschränken aufbewahren. Auf der anderen Seite besaßen normale Männer auch keine Teekessel.
„Sie wollen das doch nicht etwa trinken, oder?" Ich spulte in meinem Kopf ab, was wir in der Ausbildung über Krankheiten, die durch Blut übertragen werden, gelernt hatten.
Obwohl er mich nicht ansah, ahnte ich, dass er grinste.
„Doch. Möchtest du auch etwas?"
„Nein!" Mir zog sich der Magen zusammen. , Wissen Sie, wie gefährlich das sein kann, Blut zu trinken?"
„Weißt du, wie gefährlich ich bin, wenn ich es nicht trinke?" Er lehnte sich gegen die Arbeitsfläche und wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. So sah ich zum ersten Mal, wie groß er wirklich war.
In meinem Personalausweis ist meine Körpergröße mit 1,77 Meter angegeben, und auch wenn mich der Aufenthalt im Krankenhaus einige Kilos gekostet hatte, war ich immer noch kein kümmerliches Pflänzchen. Dennoch wirkte Nathan, als könne er mich mühelos mit bloßen Händen in Stücke reißen, wenn ihm danach wäre.
Irgendwie klang seine Stimme ein wenig traurig. Kurz sah er mir in die Augen, aber bevor ich dahinterkommen konnte, was los war, drehte er sich wieder weg. ,, Oh, tut mir leid. Dir hat noch niemand erklärt, wie das alles geht. Blut zu trinken gehört zu den Voraussetzungen, ein Vampir zu sein. Irgendwann wirst du es tun müssen, also lieber jetzt als später." Seine Stimme wurde rau. „Und außerdem, wenn du es zu lange hinauszögerst, rastest du aus und tust etwas ... was du später bereuen wirst.«
„Dann versuche ich es eben." Aus dem Kessel strömte ein warmer, metallischer Duft. Zu meinem Entsetzen knurrte mein Magen. „Also, werde ich unsterblich sein?"
„Warum ist das immer das, was alle zuerst wissen wollen?« fragte er. „Nein, du wirst wahrscheinlich nicht ewig leben." „Wahrscheinlich? Das hört sich aber nicht gerade ermutigend an."
„So sollte es auch nicht klingen." Er warf das Handtuch über seine Schulter. „Wir sind nicht dem üblichen Unbill wie Zeit oder Krankheit unterworfen und wir haben die Fähigkeit, uns selbst zu heilen, diese Gabe nimmt mit dem Alter zu.
Aber die Liste der Dinge, die uns töten können, ist ellenlang:
Sonnenlicht, Weihwasser, die Hölle, ja sogar ein schwerer Verkehrsunfall können uns vernichten."
Er goss ein wenig Blut in einen Keramikbecher, dessen Rand schon etwas angesprungen war, und deutete auf den kleinen Esstisch.
„Wenn du das nicht willst, kann ich dir sonst etwas anderes anbieten?«
„Nein, danke." Ich setzte mich auf den Stuhl, den er für mich unter dem Tisch hervorzog. „Haben Sie auch Nahrungsmittel für Menschen hier?"
„Ja", beantwortete er meine Frage. „Ab und zu mag ich das auch ganz gern, aber ich kann nicht davon leben. Und Jan muss etwas essen.
Ich runzelte die Stirn. Jan hatte mich eindeutig in den Laden gelockt, um mich umzubringen. Dann ergab es keinen Sinn, dass er selbst mit einem Vampir zusammenwohnte.
„Hm .... weiß Ihr Sohn davon, dass Sie ein Vampir sind? ,,Mein Sohn ?''  Nathan sah mich einen Moment lang irritiert an, dann fing er an zu lachen. Ich mochte  sein herzliches Lachen den tiefen, wohlmeinenden Klang seiner Stimme Jan ist nicht mein Sohn. Aber ich verstehe, wie du auf der Gelanken gekommen bist. Er ist... er ist ein Freund von mir Auserdem finde ich , das du mich ruhig duzen kannst."

Meine erste Verwandlung Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt