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,,Stimmt. Ich bin der Besitzer.'' Nathan ließ die Visitenkarte in seiner Jeanstasche verschwinden. Ich rufe sie später an. Jan gähnt laut, ich gehe jetzt schlafen. Ich schreibe morgen einen wichtigen Test und für heute habe ich die Schnauze voll von eurem Vampir-Scheiß, verstanden? ,,Verstanden'', erwidert Nathan und zwinkerte ihm zu. ,,Aber später werde ich deine Hilfe unten im Lade brauchen, um zu sehen, wie groß der Schade ist.'' ,,In Ordnung'' Jan sah mich bedeutungsschwer an. Geht es dir jetzt wieder besser Nate? Ja vielleicht habe ich einen Beutel Blut erwischt, der schon über das Haltbarkeitsdatum hinaus war..... Lesensmittelvergiftung. Ohne mit der Wimper zu zucken, starrte mich Jan weiter an. Ja, das wird es wohl gewesen sein. Ich meine, was hätte es sonst sein können? Aber er erwähnte unseren Ausflug zu Cyrus' Haus nicht. Ich hatte gehofft, dass er so schlau wäre, ihn nicht zu erwähnen. Als ich aus dem Haus kam, sah es schließlich so aus, als würde ich nie wieder freiwillig dorthin zurückkehren. Ich wollte, dass er es auch glaubte. Jan wünschte uns eine gute Nacht und ging in sein Zimmer. Sobald die Tür hinter ihm zuschlug, erdröhnte laute Rockmusik. ,,Wen er so launisch ist wie jetzt, muss man ihn einfach in Ruhe lassen. ''Nathan gähnte und ging in sein Schlafzimmer. Ich ging ihm einfach nach, ohne zu wissen, warum. Wahrscheinlich lag es daran, dass er oben herum nackt war und sich bewegte wie ein nicht jugendfreier Rattenfänger von Hameln. Nathan öffnete die oberste Schublade seiner Kommode und nahm ein T-Shirt heraus. Grau wie seine Augen, dachte ich, als ich ihm dabei zusah, wie er es sich über den Kopf zog. Nein. was das anging, brauche ich mich weder an seine Augen noch an irgendeinen anderen Körperteil von ihm zu erinnern. Außer an sein Herz, das wieder schlug. Ich würde Trost darin finden, dass ich einem Menschen das Leben gerettet hatte. Ich wollte nicht daran denken, welchen Preis ich dafür zahlen musste. Nathan, wer ist Nolen Albert? Er strich mit der Hand durch die Haare, um einige Strähnen zu glätten, die sich durch das Anziehen verstrubbelt hatten. Das muss wohl ich sein. Eigentlich muss ich sagen, das war ich früher einmal. Woher hast du diesen Namen? Es stand auf dem Fax von der Bewegung. Außerdem nennt Cyrus dich so. Ich stemme die Hände an die Hüften. Er hat mir erzählt, dass er dich nicht verwandelt hat. Schief lächelnd setzte sich Nathan auf das Bett. Warum stellst du mir all diese Fragen? Weil ich grade mein Leben für dich eingetauscht habe. Du hast mir erzählt, dass du Nathan Grant heißt und dass Cyrus dein Meister ist. Warum hast du gelogen?  ,,Ich habe nicht gelogen.'' Er griff in seine Gesäßtasche und holt seine Brieftasche hervor. ,,Sieh mal.'' In seinem Führerschein stand der Name Nathan Grant, daneben ein Foto, auf dem er unverschämt gut aussah. Alle paar Jahrzehnte muss ich mir eine neue Identität zulegen, das habe ich dir doch schon erzählt, oder? Ich hoffte, dass ich für vierzig Jahre durchgehen kann, bevor ich wieder umziehen muss. Er machte seine Brieftasche zu und warf sie auf die Kommode. Frustriert schüttelte ich den Kopf. Aber was ist mit Cyrus? Du hast gesagt, dass das Blut in meinen Adern dasselbe wie deins ist. Aber er hat behauptet, er habe dich nicht erschaffen. Hat er auch nicht. Wir sind verwandt, weil der Vampire, der ihn erschaffen hat, auch mich verwandelte. Nathan räusperte sich. Normalerweise rede ich da nicht drüber. Na, dann machst du eben mal eine Ausnahme, giftete ich ihn an und bereue es im gleichen Moment schon wieder. Es tut mir leid. Ich bin einfach müde, und mein neues Leben macht mich ziemlich fertig. Wird das irgendwann einmal besser? Nathan lächelte. Was mich angeht, nein. Vielleicht hast du mehr Glück. Wir schweigen beide und vermeiden, auf das Bett zu sehen. Er streckte die Arme hinter seinen Kopf und gähnte, um Augenkontakt mit mir zu vermeiden. ,,Hey, vorhin, als wir...'' ,,Vergiss es'', unterbrach ich ihn schnell. Ich wusste, dass das passieren würde. Es gab keinen Grund, an Erinnerungen festzuhalten, wenn wir morgen um dieselbe Zeit Feinde sein würden. Ich glaubte, in seinen Augen die Enttäuschung sehen zu können, aber er überspielte sie mit einem erzwungenen Lachen. Ja, das wird wohl das Beste sein. Wir waren in dem Moment einfach ein bisschen übermütig, und dann gerieten die Dinge außer Kontrolle. ,,Genau'', stimmte ich ihm zu. Gar kein Thema. Nun, dann glaube ich, ist es Zeit, mir mal meine Versicherungsunterlagen für den Laden anzuschauen. Willst du fernsehen oder so? '' ,,Nein, ich bin ehrlich gesagt ziemlich müde.'' Ich sah auf das Bett. ,,Soll ich heute Nacht die Couch nehmen?''  Er zeigte mit dem ausgestreckten Finger auf mich. ,,Heute, Mandy. Gewöhne dich endlich an die Vampir-Zeit. Aber nein, ich werde noch eine ganze Weile wach sein, und ich will dich nicht stören. Wir können uns auch morgen über unsere zukünftigen Schlafangelegenheiten Gedanken machen.  Morgen, wiederholte ich stumpf. Er sah mich besorgt an, steckte seine Hand aus und berührt mich am Arm. ,, Alles in Ordnung mit dir?'' ,,Ja klar, es geht mir gut. Ich bin nur müde.'' Das war noch nicht mal gelogen. Aber als wir uns eine gute Nacht gewünscht hatten und er mich in seinem Schlafzimmer alleine ließ, konnte ich einfach nicht einschlafen. Stattdessen sah ich mich nach einem Stück Papier und ein Stift um. Auf dem Boden, zwischen dem Bett und der Wand, fand ich ein Skizzenbuch, in dessen Spiralbindung ein Bleistift geklemmt war. Das würde genügen. Ich schlug die erste Seite auf und hielt inne. Eine unglaublich schöne, fast fotografische genaue Zeichnung von einem schlafenden Jungen war auf der ersten Seite. Am Rand stand in extrem männlicher Handschrift, die einen starken Kontrast zu der gekonnten Zeichnung darstellt, etwas geschrieben: Jan elf Jahre alt. Ich blättere weiter und fand ähnliche Zeichnungen. Meistens war Jan darauf abgebildet, unterschiedlich alt, aber immer schlief er auf den Bildern. Ich kannte Jan zwar nicht gut, aber ich konnte mir lebhaft vorstellen, dass er nie stillhalten würde, um Porträt zu sitzen. Daher was er auf den Zeichnungen nur in schlafendem Zustand zu sehen. Einige wenige Skizzen, auf denen er wach war, wurden durch Fotos ergänzt, die mit einer Briefklammer an die Seiten geheftet waren. Ich blätterte zu den letzten Seiten, in der Hoffnung, ein paar leere Blätter zu finden. Doch beim letzten Bild hielt ich geschockt inne. Es sah so aus wie ein Foto von der Nacht, in der wir uns zum ersten Mal begegnet waren. Offensichtlich hatte Nathan es aus der Erinnerung gezeichnet, denn der Mantel, den ich getragen hatte, reichte nur bis zu Hüfte, nicht bis zu den Knien, und meine Haare hatte ich zu einem Pferdeschwanz gebunden, nicht wie hier offen getragen, sodass auf der Zeichnung meine Haare bis auf die Schultern fielen. Aber das war eindeutig ich auf dem Bild. Ich war geschmeichelt, aber ich musste mich fragen, was für ein Mensch er war, wenn er sich solchen Träumereien hingab, er kannte mich doch erst weniger als zwei Wochen. Auf der anderen Seite: Was für ein Mensch würde seine Freiheit für das Leben eines anderen aufgeben, den er oder sie erst seit weniger als zwei Wochen kannte? Zitternd riss ich das Blatt aus der Bindung und faltete es so lange, bis es in die Tasche meiner Jeans passte. Ich glaube, es sollte mich irgendwie an ihn erinnern. Dann riss ich eine freie Seite aus dem Buch und fing an zu schreiben. Der erste Brief, den ich verfasste, fiel mir leichter als erwartet. Mein Kündigungsschreiben an das Krankenhaus war einfach und professionell. Und da ich es handschriftlich auf einer unordentlich ausgerissenen Seite schrieb, was es außerdem wahrscheinlich auch der letzte Sargnagel für meine Karriere als Ärztin. Aber das war auch wirklich gleichgültig. Nathan hatte recht. Irgendwann würden die Leute im Krankenhaus bemerken, dass ich nicht alterte. Im Gegensatz zu Nathan würde ich niemals als vierzig durchgehen. Danach zu urteilen, wie häufig ich mich ausweisen musste, wenn ich Alkohol kaufte, hielten die meisten Menschen mich für jünger als einundzwanzig. Alle zehn Jahre hätte ich wieder studieren müssen, nur um weiter als Ärztin arbeiten zu können. Es wäre die Hölle, nur schlimmer. Diesen Brief wollte ich morgen Abend unter der Tür von Dr. Fullers Büro hindurchschieben, bevor ich zu Cyrus zurückging. Dann riss ich noch eine Seite aus dem Buch und begann, Nathan zu schreiben, und das war wesentlich schwieriger. 


Nathan, ich will nicht so tun. als würden wir uns jemals wiedersehen, jedenfalls nicht als Freunde. Ich habe mich entschieden, zu meinem Meister zu gehen, das ist das Beste für mich. Bitte glaube mir, dass ich auch Dir wirklich nur das Beste wünsche. Ich verstehe, dass Du für die Bewegung einen Auftrag zu erfüllen hast. Ich werde es nicht persönlich nehmen, wenn Du versuchst, diesen diesen Auftrag bis zum Ende zu erfüllen. Aber sei Dir sicher, dass ich Dich bis zu meinem Ende bekämpfen werde. Niemand hat das Recht, darüber zu befinden, ob ich lebe oder sterbe. Wenn du jemals mir gegenüber die leiseste Freundschaft empfunden haben solltest, dann vergiss bitte, dass es mich jemals gab. Mandy.




Meine erste Verwandlung Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt