Eine unschöne Überraschung

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Ich lag fast einen Monat lang im Krankenhaus. Die Polizei stattete mir mehrere Besuche ab. Sie notierten sich meine Beschreibung von John Doe  die Reißzähne und so weiter , aber sie fragten sich unter Garantie, unter welchen Schmerzmitteln ich wohl gestanden haben mochte. Der erste Kommissar, der mir Fragen stellte, war zwar schnell zum Tatort gekommen, aber da war John Doe schon verschwunden. Die letzte Zeugenbefragung ging schnell, und obwohl die Polizei mir versicherte, dass sie weiter am Fall arbeitete, hatte ich keine große Hoffnung, dass sie etwas herausfinden würde. Wer oder was John Doe auch war, sicherlich war er klug genug, um entkommen zu können.
Einige Kolleginnen aus der Notaufnahme kamen mich besuchen. Sie wirkten nervös und blieben nicht lange. Wir machten Witze über den Schlussverkauf nach Thanksgiving, den ich verpasst hatte. Sie scherzten, ich würde mich mit den Weihnachtseinkäufen beeilen müssen, wenn ich überhaupt rechtzeitig entlassen würde. Ich hielt es für nötig, ihnen zu sagen, dass ich niemanden hatte, für den ich Geschenke kaufen musste.
Die nicht enden wollenden Besuche hatten ein Gute: Man brachte mir die Zeitungsausschnitte mit, in denen über den Vorfall berichtet wurde. Zwar wollte ich sie nicht sammeln und in ein Album einkleben, aber immerhin erfuhr ich aus den Artikeln mehr, als mir die Polizisten sagen konnten.
Den Zeitungen zufolge war der Wächter des Leichenkellers, Cedric Kebbler, von einem Unbekannten angegriffen und getötet worden. Wahrscheinlich handelte es sich bei dem Verdächtigen um einen Patienten, der aus der Psychiatrie ausgebrochen war. Ich hatte ihn dabei überrascht, wie er gerade sein Opfer tötete, und wurde deshalb selbst zum Opfer. Ich stürzte und der Täter entkam durch das einzige Fenster des Leichenkellers. Ich wurde nicht interviewt, weil mein „Gesundheitszustand" und meine „Angstattacken und mein posttraumatisches Syndrom" es nicht zuließen. Letzteres wurde von einem Psychiater der Klinik in einem kurzen Gespräch diagnostiziert.
Währenddessen befand ich mich in einem Nebel, der von den morphinhaltigen Beruhigungsmitteln hervorgerufen wurde, die ich bekam.
In keinem der Artikel war die Rede davon, dass John Does Körper verschwunden sei und in welchem seltsamen Zustand die Leiche von dem Wächter war. Entweder hatte die Polizei diese Einzelheiten verschwiegen oder die Pressesprecherin der Klinik war wirklich eine tolle Kraft.
Als mich Dr. Fuller besuchte, fühlte ich mich in meiner Haut sehr unwohl. Offensichtlich reichte es ihm nicht, mich als Ärztin abgeschrieben zu haben. Er musste mich auch als Mensch völlig fertigmachen. Er stellte sich an das Fußende meines Bettes, hatte meine Krankenakte in der Hand und las sie, fast ohne mich dabei eines Blickes zu würdigen. Dann klappte er mit einem tiefen Seufzer die Mappe zu und sagte: „Nun, das sieht nicht gut aus, nicht wahr?"
Er hatte recht. In der Woche nach meiner Begegnung mit John Doe war ich zweimal operiert worden. Erst einmal musste die Wunde an meiner Halsschlagader versorgt werden, und danach wurden die Glassplitter aus meiner Schädeldecke entfernt. Nach der ersten Operation setzte im Aufwachzimmer mein Herz aus, was der behandelnde Arzt mit einer flotten Handbewegung beiseitewischte, als würde mich seine Unbekümmertheit in irgendeiner Weise beruhigen.
Außerdem durfte ich eine Reihe spaßiger Impfungen genießen , wie zum Beispiel Tetanus und Röteln - nur als Vorsichtstmsßnahmen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass John Dee mich in einem Anfall von Tollwut attackiert hatte, aber mich Fragte ja niemand nach meiner Meinung, und außerdem weh ich nicht in der Position, mich darüber aufzuregen.
Während meines langen Krankenhausaufenthaltes fing ich an, seltsame Symptome zu entwickeln. Die meisten ließen sich als Nachwirkungen eines Stresstraumas erklären oder als die Nebenwirkungen eines größeren Eingriffes.
Das erste Gebrechen, das mich ereilte, war eine erhöhte Temperatur von 40° C. Das Fieber trat auf, als ich mein Herzversagen hatte. Aber die nachfolgenden Wiederbelebungsversuche waren schließlich erfolgreich. Ich stand immer noch unter starken Beruhigungsmitteln, und ich kann nicht behaupten, dass es mir leidtut, dass ich das alles nicht mitbekommen habe. Nach 40 langen Stunden fiel das Fieber und sank so stark, dass meine Körpertemperatur nur noch 34° C betrug.
Das war nicht normal.
Erst als ich mir meine eigene Krankenakte ansah, begriff ich, dass zu diesem Zeitpunkt meine Verwandlung begann.
Die Ärzte waren ratlos. Ein Arzt berichtete, dass solche Dinge durchaus vorkommen könnten, und zitierte Fälle, bei denen Komapatienten für längere Zeit abnorm geringen Körpertemperaturen standhielten. Er hätte auch gleich die Schultern hilflos zucken können. Und was die übrigen Ärzte anging, hatten auch sie nichts anderes zu meinem Fall zu sagen.
Das zweite Symptom war mein unglaublicher Appetit.
Ich wurde durch eine Magensonde, die über die Nase lief, ernährt, um den Heilungsprozess an meiner Kehle nicht zu stören. Dennoch wollte ich immer etwas zu essen haben, sobald die Wirkung der Betäubungsmittel nachließ und sich mein geistiger Nebel etwas lichtete.
Die Krankenschwestern runzelten dann die Stirn, kontrollierten meine Akte und erklärten mir dann, dass ich durch die Sonde ausreichend Nährstoffe zugeführt bekäme. Ich vermisste aber, zu kauen und zu schlucken, wie man es beim Essen tut.
Und als die Sonde entfernt wurde, schien sich mein unersättlicher Appetit nicht zu verringern. Ich aß unglaubliche Mengen, und als ich endlich nach Hause entlassen wurde, rauchte ich fast eine ganze Schachtel Zigaretten am Tag, als wäre ich von einem nikotinsüchtigen Dämon besessen. Es heißt im Allgemeinen, dass starkes Rauchen nach einem schweren Engriff in das Gewebe keine gute Idee sei. Aber das Allgemeinwissen hatte keine Erklärung für meinen Hunger, der mich fast verrückt machte. Die Leere, die mich zur Fressmaschine werden ließ, konnte durch Essen nicht gefüllt werden. Und je mehr ich zu mir nahm, desto größer wurde diese
Leere.
Das dritte Anzeichen trat so lange nicht in Erscheinung, bis ich entlassen worden war. Nachdem ich wochenlang in einer Krankenstation wie in einem U-Boot gelebt hatte, erwartete ich, dass mir natürliches Licht erst einmal fremd vorkommen würde. Aber nie hätte ich gedacht, dass ich das Gefühl haben würde, meine Haut würde unter größten Schmerzen verbrennen, sobald ich ins Sonnenlicht hinaustrat. Draußen zwinkerte ich desorientiert, um mich in dem gleißenden weißen Licht zurechtzufinden.
Obwohl es Mitte Dezember war, hatte ich das Gefühl, ich würde einen Hochofen betreten. Vielleicht war das Fieber zurückgekehrt, aber ich hatte nicht die geringste Lust, noch eine Nacht in einem Krankenhausbett zu verbringen.

Meine erste Verwandlung Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt