Mandy trifft Leyla

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Ich scherte mich nicht sonderlich um Nathans Warnung, bis mich eines Nachts dieser unglaubliche Hunger überbekam.
In der Woche versuchte ich, mein Leben so zu leben, als sei nichts geschehen. In Anbetracht der Tatsache, dass ich wahrscheinlich nur noch vierzehn Tage Zeit hatte, bis ich mich dem Urteil der Bewegung stellen musste, wollte ich die Zeit in vollen Zügen genießen.
Natürlich hatte ich Das Sanguinarius gelesen. Es war so trocken und altertümlich geschrieben wie Der Herr der Ringe.
Doch ich erinnerte mich daran, dass der weitere Verlaut meines Lebens von eben diesem Buch abhängen würde.
Nathan rief mich jede Nacht an, um zu fragen, wie es mir gehe. Ich verfluchte mich dafür, dass mein Name im Telefonbuch stand. Manchmal rief er an, wenn ich schon zur Arbeit war, und schon bald ertappte ich mich dabei, wie ich mich während der Schicht daraut freute, nach Hause zu kommen und seine Stimme auf dem Anrufbeantworter zu hören. Gegen Ende der Woche dachte ich viel an Blut nein, ich dachte ausschließlich an Blut.
Um meine Schichten im Krankenhaus zu überstehen, naschte ich ständig. Kaffee , Pizza, Popcorn, alles, was ein starkes Aroma hatte und den Geruch von Blut überdeckte. Einige Krankenschwestern bemerkten neidisch, dass ich wohl alles essen könne, ohne zuzunehmen. Ich hörte kaum zu. Alles, was ich wahrnahm, war das unüberhörbare Geräusch ihrer
Pulsschläge.
Mein Verlangen wurde immer stärker, ich konnte nur noch an Blut denken, und ich unternahm alles Mögliche, um die Sicherheit der Menschen um mich herum nicht zu gefährden. Während meiner zahlreichen Arbeitspausen schloss ich mich in den Toiletten ein und benutzte eine Rasierklinge, um mir damit kleine flache Schnitte in den Unterarm zu ritzen. Dann leckte ich das Blut ab. Das stillte meinen Durst nur wenig, dafür interessierten die verbleibenden kleinen Narben aber den diensthabenden Psychiater. Ich ging ihm aus dem Weg, so gut es ging, und ignorierte seine sanft ausgesprochenen Einladungen, mit mir über meinen „Heilungsprozess" zu sprechen.
Obwohl mein Hunger so groß war, drehte sich mir bei dem Gedanken, menschliches Blut trinken zu müssen, der Magen um. Ein oder zweimal stibitzte ich eine Blutprobe von einem Patienten und nahm sie mit nach Hause. Aber die Möglichkeit, dass sie winzige Viren enthalten könnte, die sich dann in meinem Körper ausbreiten wurden, machte mir eine Gänsehaut. Also leerte ich die Reagenzgläser in der Küchenspüle aus und warf sie danach in den Müll.
Ich nahm rapide ab. In der einen Woche verlor ich fünf Kilo. Ich war müde und krank. Überall, wo ich hinging, hörte ich die Herzen der Menschen das Blut durch fette blaue Venen pumpen. Es machte mich absolut verrückt.
Das Sanguinanus empfahl, Vampiren auf der Flucht rohe Steaks zu geben. Wer immer das geschrieben haben mag, hatte nie im Fernsehen eine Reportage über die Verseuchung in Schlachthäusern durch Kolibakterien gesehen.
Die Nächte, in denen ich nicht arbeiten musste, waren fast schlimmer als die, in denen ich im Krankenhaus war. Wenigstens musste ich mich dort zwingen, mich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf das Essen. Eines Abends war es besonders schlimm, ich hielt es zu Hause nicht mehr aus und fuhr noch einmal in die Wealthy Avenue. Während der Autofahrt rollten mir Tränen über die Wangen und ich zitterte so stark wie ein Junkie, der dringend einen Schuss braucht. An diesem Abend hatte mich Nathan nicht angerufen, und mir kam es auch nicht in den Sinn, mich bei ihm zu melden, bevor ich vor seiner Tür stand. Ich brauchte das Blut, und ich brauchte es dringend. Meine Hände Zitterten, als ich auf den Klingelknopf drückte. Niemand antwortete. Das Fenster des Geschäftes war dunkel , und niemand reagierte auf mein ungeduldiges Klopfen.
Auf dem Bürgersteig gingen junge Männer und Frauen entlang. Das Geräusch ihres pulsierenden Blutes übertönte ihre Gespräche. Die meisten von ihnen sahen jung aus, als müssten sie schon bald wieder nach Hause zurück. Andere wirkten wie College-Studenten. College-Studenten aus anderen Städten ... vielleicht kannten sie noch nicht so viele Leute hier, dann würde es nicht auffallen, wenn sie verschwinden würden. Wochen vielleicht sogar monatelang würde sie niemand vermissen.
Bei dem Gedanken erschrak ich, aber ich brauchte Blut.
Da ich keinen Bluttransport entführen konnte, musste ich einen Spender finden.
Ich ging nicht zu meinem Wagen zurück, sondern blieb draußen und ging ein wenig spazieren. Ich brauchte frische Luft.

Meine erste Verwandlung Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt