Kapitel 118 - Der Prinz von England

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Raven

Mir fällt das Papier vor Schreck aus der Hand und es fliegt genau zwischen Harry und mich, der noch im Türrahmen steht, nur in Boxershorts.

"H-Harry, ich", sage ich unsicher, weil ich seinen Blick nicht ganz einschätzen kann. "Der Brief ist mir - Er - er ist mir entgegengeflogen."

Er sieht auf das Papier auf dem Boden und geht darauf zu. "Entgegengeflogen, huh?", sagt er mit bissigem Unterton und hebt es auf.

Harry ist definitiv sauer.

Ich sehe schuldbewusst auf den Boden und knippe an meinen Fingernägeln. "Es tut mir Leid", sage ich leise. Hätte ich doch nur auf meine innere Stimme gehört.

"Was tut dir Leid? Dass du in meinen Sachen rumschnüffelst?", fragt er und lehnt sich mit verschränkten Armen gegen die Kücheninsel, betrachtet mich verärgert.

"Ich hab nicht geschnüffelt", sage ich kleinlaut. "Es - es ist aus dem Regal geflogen, als ich eine Tasse rausholen wollte... Und da - "

"Da dachtest du, dass du einfach mal meine Briefe lesen darfst, wenn es dir schon vor die Füße fliegt?"

"Ich - "

"Kannst du mir mal sagen, was ich davon jetzt halten soll?"

"Kannst du mich mal ausreden lassen?", feixe ich ihn an und verschränke ebenfalls die Arme. Weg ist das schlechte Gewissen.

Harry sieht mich jetzt noch böser an, will etwas sagen, doch diesmal unterbreche ich ihn.

"Außerdem: Du brauchst dich eigentlich gar nicht so aufzuspielen, immerhin gibt es anscheinend gleich mehrere Sachen, die du mir verheimlichst!" Ich gehe auf ihn zu und reiße ihm das Papier aus der Hand. "Hier steht, dass du ein Jahr nach Amerika gehen kannst, wann wolltest du mir das denn sagen?"

Er stützt sich geladen von der Kücheninsel ab. "Das - "

"Und was ist das?", schreie ich und zeige auf eine Zeile. "DU HAST ALS WIR UNENDLICH WAREN GESCHRIEBEN? Wann wolltest du mir das sagen?! Bist du vielleicht noch der Prinz von England oder so? Sag es am besten sofort, bevor ich es von der Queen persönlich erfahre, wenn sie mal zu einem Brunch vorbei kommt!"

"Verdammt, Raven!", schreit Harry, wirft die Arme in die Luft und geht aufgebracht um die Kücheninsel herum. Er steht jetzt auf der andren Seite. "Darum geht es doch gerade gar nicht!"

"Doch Harry, genau darum geht es!" Ich knalle den Brief auf die Insel, die eine Barriere zwischen uns darstellt. "Meinst du nicht, dass ich das Recht habe zu erfahren, wenn mein Freund das Buch geschrieben hat, was ich absolut vergöttere?! Kein Wunder, dass du mich ständig an ihn erinnert hast! Wahrscheinlich hast du dich seit ich dir das von August erzählt habe, ständig wie er verhalten, damit ich mich in dich verliebe! Du wusstest, wie viel mir das Buch bedeutet! Ich kann es kaum glauben!"

"Was für ein Bullshit! Ich war ständig so, wie ich wirklich bin!" Er lässt einen genervten Schrei raus. "Deswegen wollte ich nicht, dass du es weißt, verdammt! Ich wusste, dass du so ausrasten wirst!"

Ich schnaube verächtlich. "Es wäre nur halb so schlimm, wenn du es mir einfach gesagt hättest! Und wann hattest du vor mir das mit Amerika zu erzählen? Der Brief ist vom 27. Mai, das ist über zwei Wochen her, Harry! Hast du vielleicht währenddessen schon beschlossen, dass du ein Jahr nach Amerika gehst?"

Er schweigt und starrt wütend auf die Kücheninsel.

"Hast du?", brülle ich.

"Ja", sagt er ruhig, sieht aber immer noch auf die Insel.

"Ja, was?"

"Ja, ich werde nach Amerika gehen, aber - "

"Du gehst?", schreie ich jetzt wieder aufgebracht und gleichzeitig am Boden zerstört.

"Lass mich ausreden, man!", schreit er wieder und sieht mich an. "Ja, ich gehe nach New York, aber erstmal nur für ein Gespräch! Wenn du nicht so zicken würdest, dann hättest du dir das Geschrei sparen können!"

"Du schreist doch selbst!"

Er rollt die Augen und geht aus der Küche.

"Wo gehst du hin?", rufe ich ihm sauer hinterher.

"Wieder ins Bett!", höre ich seine Stimme von den Treppen zurück. "Anscheinend hast du deine PMS oder so und so rede ich ganz bestimmt kein Wort mit dir!"

Wütend schnaube ich und schütte mir endlich Kaffee in meine Tasse. Ich weiß zwar, dass ich meine Tage bekommen habe, aber das hat damit ganz bestimmt nichts zutun! Ganz bestimmt nicht!

Ich habe jedes Recht auf ihn sauer zu sein, immerhin verschweigt er mir solche wichtigen Sachen. Die Tatsache, dass er tatsächlich Als wir unendlich waren geschrieben hat, will immer noch nicht ganz in meinen Kopf rein und die Tatsache, dass er tatsächlich ein Jahr nach Amerika gehen könnte, weil er dort sein Buch noch mehr vermarkten könnte, noch weniger.

Eigentlich bin ich doch nur so aufgebracht, weil ich mir einfach nicht vorstellen kann hier in London ohne ihn zu leben... Wenn er weg wäre, dann hätte ich absolut keine Lust mehr auf das College. Auf allgemein alles.

Könnten wir eine Fernbeziehung führen? Und das über mehrere tausend Kilometer. Das ist nicht einfach eine Stunde Autofahrt, das ist eine Flugzeit von neun Stunden.

Ich will nicht, dass er geht.

Aber ich kann ihn auch nicht hier halten. So eine Chance wie diese bekommt man viel zu selten und ich sollte ihm das nicht versauen, egal, wie sehr ich ihn hier haben will.

Würde er seine Karriere vor mich stellen? Was denke ich da? Natürlich würde er das, das würde wahrscheinlich jeder mit gesundem Menschverstand tun. Wir kennen uns erst seit fast zwei Monaten, da sollte ich nicht von ihm erwarten, dass er seinen Lebenstraum für mich aufgibt.

Ich würde meine Karriere wahrscheinlich auch vorziehen. Oder?... Wenn ich so darüber nachdenke, bin ich mir da nicht mehr so sicher. Vor zwei Monaten hätte ich meine Karriere vor alles gestellt, aber jetzt ist es irgendwie anders. Ich liebe Harry.

Mit schweren Unterleibskrämpfen und einem noch schlimmeren Kopfschmerz schlappe ich die Treppen hoch, nachdem ich meinen Kaffee getrunken habe.

Leise, und mit dem größten schlechten Gewissen der Welt, weil ich ihn so angebrüllt habe, öffne ich die Schlafzimmertür und schließe sie hinter mir.

Harry sitzt mit verschränkten Armen im Bett, an die Wand hinter ihn gelehnt und starrt mich immer noch angepisst an. Der Fernseher läuft im Hintergrund. "Sag bloß, du hast dich abgeregt."

Ich seufze und kuschle mich unter die Decke, ganz nah an ihn.

Er regt sich jedoch kein Stück und betrachtet mich nur mit erhobener Braue.

Ich presse mich noch näher an ihn und murmle fast unverständlich: "Tutmirleid."

"Was?", fragt er, doch ich weiß ganz genau, dass er mich wieder nur provozieren will.

Mit zusammengekniffenen Augen sehe ich ihn an. "Leg es bloß nicht drauf an, ich habe immer noch einen Grund sauer auf dich zu sein."

Seine Mundwinkel zucken und er streicht mir leicht durch das Haar. "Okay, okay."

Erleichtert, dass das Geschrei endlich ein Ende hat, vergrabe ich meinen Kopf in seinem Schoß und schließe die Augen.

"Aber du hast wirklich deine Tage oder?"

Sofort reiße ich dich Augen auf und werfe mir die Decke vom Körper.

"Was ist los?", fragt er verwirrt.

"Du bist echt unmöglich", gifte ich ihn an und stampfe mal wieder genervt aus dem Zimmer.

Als ich die Tür hinter mir zuschmeiße, höre ich sein lautes Lachen.

Ich liebe sein Lachen.

Ich will nicht, dass er geht.

Ich liebe ihn.

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