Kapitel 182 - Zehn Minuten

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Raven

Bereits zum vierten Mal streiche ich den Beginn meines Aufsatzes durch und zerknülle das Blatt Papier in meinen Händen. Es ist das erste Mal seit Wochen, dass ich wieder schreibe und jetzt scheine ich die größte Schreibblockade aller Zeiten zu haben, obwohl es nur um Sklaverei gehen soll.

Seit wann fällt es mir so schwer ein paar Sätze auf Papier zu bringen? Ich sitze hier schon fast eine Stunde und verzweifle. Die Uhr über dem Fernseher sagt mir, dass es längst nach zehn Uhr ist, und genauso fühle ich mich auch. Am liebsten würde ich den ganzen Mist einfach zur Seite legen und mich zu Harry ins Bett kuscheln.

Er ist schon vor einer Stunde schlafen gegangen, weil er so müde war. In letzter Zeit geht er oft früh schlafen und steht genauso früh auch wieder auf. Morgens wache ich immer alleine im Bett auf.

Ich muss endlich diesen Aufsatz fertig bekommen und ich muss endlich wieder lernen mich zu konzentrieren. Hier in New York kann ich nicht wieder das gleiche Spiel wie in London spielen.

Schließlich entscheide ich mich dazu – obwohl das gegen meine Prinzipien verstößt – einen Aufsatz aus dem Internet zu kopieren. Ich bekomme es einfach nicht hin, einen ordentlichen Satz zu bilden und die Verzweiflung steigt und steigt.

Nachdem ich den Aufsatz abgeschrieben habe, verstaue ich meine Schulutensilien in meiner Tasche, schalte das Licht im Wohnzimmer aus und trotte leise die Treppen nach oben.

Vorsichtig öffne ich die Schlafzimmertür, um Harry nicht zu wecken. Ich muss schmunzeln, als ich ihn leise schnarchend im Bett liegen sehe. Seine Haare liegen ihm durcheinander auf der Stirn und sein Mund ist leicht geöffnet.

Er müsste mal wieder zum Friseur.

Nachdem ich mich umgezogen habe, lege ich mich leise unter die Decke und beobachte seine schönen Gesichtszüge. Es sind solche kleinen Momente wie diese, die mir mein Dasein und das Glück, das ich mit einem Mann wie ihm empfinde, zeigen.

Ich darf August lieben. Ich darf die Liebe lieben, von der ich schon immer als größte Liebe meines Lebens geträumt habe. Ihn. Harry.

Er arbeitet so hart für die Dinge, die er liebt, für seine Leidenschaften. Ich beneide ihn dafür, dass er solch eine Willenskraft hat, seinen Traum zu erfüllen, endlich ein erfolgreicher Schriftsteller zu sein.

Und ich denke, das ist ein Grund, wieso ich mich so in ihm verloren habe. Ich habe mich darin verloren, wie leidenschaftlich er immer solch Dinge getan hat, wie das Schreiben fürs Krankenhaus, oder wie verrückt er nach diesem Leben ist. Auch, wenn er durch schwere Zeiten ging, hat er nie aufgehört das Leben zu lieben und das lässt mich ihn lieben.

Wie fragen uns oft, was wir brauchen, doch es geht nicht darum, was wir brauchen, sondern was uns braucht. Und ich brauche Harry. Ohne ihn hätte ich nie eine eigene Leidenschaft fürs Leben gefunden und dafür bin ich ihm so dankbar.


Ich wache durch die Bewegung der Matratze unter mir auf. Noch viel zu müde, öffne ich meine Augen und sehe Harry, der Oberkörperfrei an der Bettkante sitzt und gerade seinen Wecker ausstellt.

„Morgen", sage ich mit noch kratziger Stimme.

Er dreht sich fast erschrocken zu mir um und gähnt erst mal kräftig. „Morgen, Baby." Dann beugt er sich zu mir und gibt mir einen liebvollen Kuss auf die Stirn. „Schlaf weiter, es ist gerade mal halb sechs."

Ich umfasse seinen Oberarm und ziehe ihn zu mir, sodass ich meinen Körper an seinen pressen kann. „Nein, bleib hier", murmle ich flehend.

Sein Körper vibriert, weil er leise lacht. „Du weißt, dass ich das nicht kann."

„Bitte. Sonst stehst du auch immer erst um halb sieben auf."

„Ja, aber ich muss heute Morgen schon sehr früh in Queens sein."

Ich kuschle mich noch enger an ihn, weil er wieder versucht aufzustehen. „Zwanzig Minuten."

„Baby, ich muss wirklich aufstehen."

„Fünfzehn Minuten."

„Baby."

„Zehn?", flehe ich.

Schließlich seufzt er ergeben.

Ich grinse breit und lege mich auf ihn drauf. Ich fühle mich in letzter Zeit ihm so entzogen, deshalb muss ich jeden Moment auskosten. Schmunzelnd lege ich meinen Kopf auf seiner Brust ab und Harry streichelt mir über mein Haar. „Erzähl mir, was du heute so machst", fange ich ein Gespräch an.

„Na ja, heute Morgen fahre ich nach Queens, um mein Cover abzugeben, damit sie mein Buch endlich dort drucken können. Ich sage dir, das war vielleicht ein Drama mit diesem scheiß Cover, das hat Ewigkeiten gedauert, endlich eins rauszusuchen, was mir und Black gleichzeitig gefallen hat. Dann muss ich – Mist, ich habe heute Mittag noch ein beschissenes Meeting mit der Buchhaltung. Du kannst dir nicht vorstellen, wie ätzend das ist. Ich meine, klar, diese Leute dort müssen durchaus seriös wirken und eine gewisse Bildung ausstrahlen, aber wenn du mit acht Stück von dieser Spezies in einem Raum sitzt, kommst du dir vor einem verdammten Kloster. Unvorstellbar, dass Steven, Abteilungsleiter dort ist. Er hat wahrscheinlich das widerlichste Mundwerk von ganz BPE, kann sich aber in Meetings verhalten wie ein verfluchter Priester." Harry lacht.

Ich lächle. Genieße seine Stimme und die vielen Worte, die er spricht. „Das klingt auf jeden Fall aufregend." Ich sehe zu ihm auf und setze mein Kinn auf seiner Brust ab. „Wir könnten heute zusammen Mittagessen gehen, wenn du Mittagspause hast. Ich habe heute nur drei Vorlesungen."

Harry grinst. „Gerne. Soll ich dich dann abholen?"

„Nein, brauchst du nicht. Zayn kann mich zu Black Poe bringen."

Nach einer Weile, sagt er: „Zayn ist eine ganz schön exotische Art Mensch."

Ich muss lachen. „Das stimmt. Aber er ist toll. Ich hoffe, ihr zwei freundet euch an."

„Aa, da bin ich mir nicht sicher. Ich weiß nicht, ob ich mit einem Kerl befreundet sein will, der mich mehr versucht ins Bett zu bekommen, als meine eigene Freundin."

„Na ja, also ich versuche dich gerade auch ins Bett zu bekommen."

„Ich bin doch im Bett."

Ich fahre mit meiner Hand zu seiner Boxershorts und greife in seinen Schritt. „Jetzt bist du im Bett."

Harry keucht auf und seine Augen weiten sich. „Tu das nicht. Ich habe heute Morgen wirklich keine Zeit dafür. Sechs Minuten sind schon vergangen."

Ich grinse nur und küsse von seiner Brust zu seinem Hosenbund.

Er beobachtet mich und muss sich anstrengen, nicht gleich die Fassung zu verlieren. „Baby, das ist nicht lustig. Ich kann es mir nicht erlauben zu – Scheiße, mach weiter", seufzt er schlussendlich und fährt mit seinen Händen in meine Haare, als ich meinen Mund um ihn lege.


Ich stehe nur in Harry's Shirt an der Theke in der Küche und brühe mir Kaffee auf, als Harry gehetzt in die Küche kommt und mir einen Abschiedskuss gibt. „Tschau, Süße. Wir sehen uns heute Mittag."

„Vergiss es bitte nicht."

Er schultert schnell seine Arbeitstasche und joggt aus der Küche. Ich habe ihm heute Morgen wirklich viel zeit geklaut.  „Ich verspreche es!", ruft er noch, bevor er aus der Tür verschwindet. „Ich liebe dich!"

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