Kapitel 146 - Du kleiner Schmarotzer

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Raven

Vorsichtig ziehe ich mir mit dem Eyeliner einen dünnen Strich über mein Lied und betrachte mich im Spiegel.

„Andy hat eigentlich überhaupt nichts gemacht", erzählt Cate, die auf ihrem Bett sitzt und ihre Füße an die Wand presst. „Er hat einfach nur angefangen von einem seiner Mentoren zu reden und daraufhin musste Niall wieder einen provokanten Spruch loslassen. Ich verstehe echt nicht sein Problem."

Ich käme mir mit der Bürste durch meine geglätteten Haare und betrachte Cate durch den Spiegel. „War er bei den Freunden, die du vor Andy hattest, auch so?"

„Er war schon immer ein wenig skeptisch ihnen gegenüber, aber so schlimm, wie es bei Andy ist, war er noch nie. Er ist wirklich nur noch unerträglich. Ich meine, sie haben sich vorgestern geprügelt!"

Ich lege die Bürste weg und gehe noch einmal mit der Wimperntusche über meine Wimpern. „Vielleicht ist er eifersüchtig."

Cate lacht auf und setzt sich richtig hin. „Eifersüchtig? Auf was denn?"

„Auf Andy. Gut möglich, dass er auf dich steht."

„Nein, das ist nicht gut möglich. Niall und ich kennen uns in und auswendig, er ist wie mein großer Bruder. Außerdem steht er auf niemanden. Er fickt alles, was auf drei nicht aufm Baum ist." Sie legt sich wieder seufzend hin. „Das ist einfach unmöglich", sagt sie leise und eher zu sich selbst, als zu mir.

Ich stehe auf und betrachte mich noch einmal im Spiegel. Ich gefalle mir. Ich trage selten viel Schminke, doch heute ist ein guter Anlass und ich finde es gut, wie es meinem Gesicht schmeichelt. „Hilfst du mir mal gerade mit dem Reisverschluss?", frage ich Cate und deute auf den Verschluss an meinem Rücken meines schwarzen Kleides.

Sie steht auf und zieht den Reisverschluss zu.

„Hast du denn schon mal mit Niall darüber geredet?", frage ich sie.

„Ja, ich habe schon mehrmals darauf angesprochen. Aber er sagt jedes Mal wieder nur, dass er Andy einfach nicht vertraut und er nicht ausstehen kann." Sie setzt sich auf die Bettkante ihres Bettes, während ich in meine hautfarbenen Pumps schlüpfe, die ich mir heute Mittag noch mit dem Kleid gekauft habe. „Aber an Andy ist doch gar nichts, was man nicht leiden kann. Oder findest du, dass er etwas Seltsames an sich hat?", fragt Cate mich deprimiert.

Ich schüttle den Kopf und schnappe mir mein Handy und Schlüssel von meinem Schreibtisch, verstaue beides in meiner Clutch. „Nein, auf gar keinen Fall, ich mochte ihn auf Anhieb. Ich wette ja immer noch, dass Niall auf dich steht."

Sie verdreht die Augen. „Hör auf das zu sagen. Das ist wie, als würdest du wollen, dass ich Inzest betreibe."

Ich lache. „Komm schon, so abwegig ist der Gedanke mit euch beiden auch nicht. Ich fände es total süß, wenn ihr zusammen sein würdet."

„Wir sind aber nicht zusammen und werden wir auch nicht. Ich habe Andy und keinen arroganten schwanzgesteuerten Niall."

„Ist ja gut." Grinsend stelle ich mich genau vor Cate. „Und wie sehe ich aus?"

Sie lächelt und steht auf. „Du siehst wahnsinnig heiß aus. Schade, dass Harry dich so nicht sehen kann", sagt sie, als sie mir eine Strähne aus der Stirn wischt.

Traurig schürze ich die Lippen.

Schon wieder muss ich an Harry denken... Es gibt keine Stunde, in der ich keinen Schmerz in der Brust habe, weil er nicht hier ist.

„Aber ich freue mich, dass du dich tatsächlich traust so aus dem Haus zu gehen. Endlich trägst du mal was anderes, außer deine blöden langweiligen T-Shirts und Jeans."

Schmunzelnd rolle ich mit den Augen und gehe zur Tür. „Sei still, das ist bequem."

Als ich eine halbe Stunde später mit Cate's Auto beim Hospital ankomme, höre ich schon durch die geöffneten Türen der Veranstaltungshalle die klassische Musik, die drin gespielt wird. Hier sind unglaublich viele Leute und alle sind total aufgebrezelt.

Unsicher sehe ich an mir herab.

Ich trage nur ein schlichtes schwarzes Kleid, das mir bis zu den Knien geht und bis zu meinen Unterarmen. Sogar kein bisschen Ausschnitt hat es, sondern geht mir bis zum Hals. Vielleicht hätte ich doch das rote Kleid nehmen sollen, dass Cate mir vorgeschlagen hat, als wir heute Mittag shoppen waren.

„Keine Sorge, du siehst klasse aus", höre ich eine Stimme von vorne auf mich zukommen.

Ich sehe auf und sehe Ben, der in einem schwarzen Smoking und Fliege die Treppen des Eingangs zu mir stolziert. Er sieht wirklich attraktiv aus. Wäre ich nicht so abgöttisch in Harry verliebt, würde mein Herz wahrscheinlich jetzt Luftsprünge machen, weil ich das Privileg habe, mit so einem hübschen Mann auf einen Ball zu gehen.

Ich grinse ihn an. „Kannst du Gedanken lesen?"

Er zuckt lächelnd mit den Schultern und kommt auf mich zu, dann drückt er mich kurz. „Gut möglich, als Arzt lernt man so einiges. Aber ich muss sagen, dass du wirklich toll aussiehst. Ich bin froh, dass du mich begleitest und nicht Charlett von der Rezeption."

Leicht erröte ich vor seinem Kompliment. Heute ist mal ein Tag, an dem ich mich wirklich schön finde.

Und ich wünschte, Harry könnte mich sehen.

„Lass uns reingehen." Ben hält mir seinen Arm hin und ich hacke mich unter.

Gemeinsam betreten wir den Saal und mir sticht sofort die aufwendige Deko ins Auge. Der Ballsaal sieht wirklich schön aus. An der Decke hängt ein Kronleuchter und viele Pfahle stehen im Raum. Ein großes Buffet ist am anderen Ende des Raums angerichtet und durch die vielen Leute in langen Kleidern und Anzügen sorgen für ein klassisches und altmodisches Ambiente.

Ich sehe Robert mit einem Glas Wein mit einer Frau reden und muss sofort lächeln. „Da ist Robert. Können wir zu ihm?", frage ich Ben.

Er nickt einverstanden. „Na klar."

Robert erblickt uns schon, bevor wir bei ihm angekommen sind. Als er mich sieht, lächelt er breit und er öffnet seine Arme, damit er mich umarmen kann. „Raven! Was machst du denn hier?", fragt er, als er mich fest an sich drückt.

Ich stelle mich wieder neben Ben und begrüße die Frau neben ihm, ich nehme an seine Begleitung. „Ben hat mich eingeladen. Das konnte ich mir nicht entgehen lassen."

Robert sieht zu Ben und hebt den Finger. „Na na, du kleiner Schmarotzer. Pass bloß auf, dass Harry das nicht rausbekommt", scherzt er.

Ben haut nur seinen Finger weg und lacht auf. „Davor habe ich keine Angst."

Ich ziehe die Luft ein.

Harry weiß nicht mal, dass ich mit Ben heute Abend hier bin.

Ich wusste, ich hätte es ihm gestern in Skype noch erzählen sollen. Mist.

Ich weiß nicht mal, wie er reagieren würde. Vor allem, weil ich schon hier bin und ihn theoretisch nicht mal nach seiner Meinung gefragt habe.

Robert und ich reden eine Weile über Harry und wie es ihm in New York geht und wie es Robert nach der ganzen Sache mit Tammy geht. Ich habe Robert auch im Geheimen – ohne, dass es Ben mitbekommt – von Harry's Albträumen erzählt. Er meint nur, dass so Etwas öfters vorkommt, wenn Menschen jemanden verlieren, den sie geliebt haben, doch das würde mit der Zeit wieder vergehen.

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