Saint Appeljack, Analoge Medien und Oma Rosi

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Audrey:

Die Entscheidung ist gefallen. Ich ziehe nach Saint Appeljack, ein in meinen Augen zu groß gewordenes Altersheim.

Saint Appeljack ist die Heimat meiner Oma Rosi, diese hatte vor einiger Zeit einen schweren Sturz zu verkraften, sowie eine Hüftoperation. Seitdem läuft es bei ihr eher schleppend, weshalb wir als Familie beschlossen haben, dass jemand zu ihr zieht. Da ich die Jüngste bin und nicht gerade im Studium oder am Anfang meiner Karriere bin, hat man einstimmig beschlossen, dass ich dorthin ziehen muss.

Ich kann verstehen, wieso ich das machen muss und für meine Oma mache ich das gerne, aber ich muss an einen Ort ziehen, wo jeder jeden kennt und eine Buschtrommel besser funktioniert als ein Telefon. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie es sein wird. Die wissen jetzt schon alle dort, dass wir kommen und dass ich dort bleiben werde und wenn es jetzt noch nicht alle wissen, dann werden sie es spätestens am Sonntag nach dem Gottesdienst erfahren.

Ich kann mir auch schöneres vorstellen, als jeden Sonntag in die Kirche zu müssen. Meine Oma ist großartig und ich liebe sie, aber in mancher Hinsicht ist sie ein sturer Esel.

Seit heute morgen fahren wir schon, die Fahrt von unserem Haus in Portland im Bundesstaat Oregon nach Saint Appeljack dauert fast sieben Stunden. Ich wäre gerne geflogen, aber heute müssen die Fluggesellschaften streiken. Außerdem wollte meine Familie einen Roadtrip machen, sowas ist echt typisch für uns Amerikaner.

Meine ganze Familie fährt entweder vor- oder hinter uns. Dad fährt wie immer recht ruhig und Mom arbeitet über ihren Laptop ihre Fälle ab. Ich kann bis heute nicht nachvollziehen wieso sie in Jura Familienrecht und Steuerrecht genommen hat. Dad ist Hirnchirurg, weshalb er auch so ruhige Hände hat. Das merkt man oft, wenn er Auto fährt oder es etwas gibt, wobei man eine ruhige Hand braucht. Meine Mom ist da das komplette Gegenteil, sie kann die Hände nicht stillhalten, sie braucht immer etwas in den Händen, damit diese beschäftigt sind.

Meine Geschwister sind da auch ähnlich wie eine Mom. ich glaube, ich bin die einzige die ruhige Händen hat. Als Dad abbiegt, damit wir nach vier Stunden eine Pause machen können, rennen meine Schwestern und Cousinen schon praktisch zur Toilette. Ich laufe auch dahin und stelle mich an.

Sobald wir alle von der Toilette runter sind, treffen wir den Rest der Familie in einem Restaurant und setzen uns dazu. Ich bestelle mir etwas zu Essen und schweige, viel zu sagen habe ich nicht. Meine Schwestern schwatzen so viel, dass es für mich mit reicht.

Dad lächelt mich an, er ist stolz auf mich. Mom und meine Tanten sind mir dankbar, die machen sich sorgen um ihre Mutter, was ich verstehen kann. Seit dem Tod von Opa vor fünf Jahren, besucht meine Oma Rosi uns regelmäßig, der Tod von Opa kam zwar nicht überraschend, aber er fehlt trotzdem. Er starb an einem Krebsleiden. Oma hat zwar immer gehofft, aber dieses Mal wurde sie von der Hoffnung enttäuscht. Seit der Beerdigung von Opa war ich auch nicht mehr in Saint Appeljack.

Sie war dann immer aufgeregt und verwundert, wie man in so einer hektischen Stadt leben kann, man würde nicht zur Ruhe kommen. Ich kann ihre Meinung komplett nachvollziehen, nur genau andersherum. Wie kann man in so einem Ort leben, wo nichts passiert, außer wenn jemand gestorben ist? Ich fühle mich an diesem Ort als würde ich von der Welt abgeschottet werden und bin mir nicht sicher, ob ich nach meiner Zeit dort noch in der "normalen" Welt zurechtkommen werde. Ich werde wohl soziale Medien gegen analoge tauschen müssen, denn Internet kennen die dort wohl nicht so. Zumindest meine Oma hat damit so ihre Schwierigkeiten.

Ich ahne schon, dass ich jeden Morgen Zeitung lesen darf. Dad findet das gar nicht mal so schlecht. Ich habe dann immer nur die Augenbrauen nach oben gezogen, ihm auf die Schulter geklopft und ihm mitgeteilt, dass dort ein sehr gutes Krankenhaus sein soll, nur eine halbe Stunde mit dem Auto entfernt. Er lächelte dann, trank seinen Kaffee und las die Zeitung auf seine Handy weiter. Damit war klar, dass er diese Diskussion aufs neue verloren hatte.

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