Kapitel 20

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Savannah

Die Zeit vergeht und ich sitze noch immer mit Tyler auf dem Dach dieses Turms. Ich weiß nicht, wie viel Uhr wir haben und das interessiert mich auch gar nicht. Ich weiß nur, dass ich nicht nach Hause möchte. Und ich möchte nicht runter von diesem Turm.

»Wo warst du das komplette letzte Jahr, Zuckerpuppe? Ich habe nur mitbekommen, dass du ein Jahr weg warst, aber nicht wo und wieso.« Es ist wesentlich einfacher sich mit Tyler Whitehole zu unterhalten, wenn man sich nicht in die Augen schauen muss. Hier auf dem schmalen Dach haben wir nicht viel Platz uns zu bewegen. Die Möglichkeiten sind begrenzt. Ich muss ihm nicht in die Augen schauen, während ich meine Sätze formuliere. Und das bedeutet auch, dass ich nicht zählen muss, wie oft er weg sieht.

»Ich war bei meinem Dad in Montesano.« Die Antwort kommt nicht leicht über meine Lippen, weil ich eigentlich ungerne daran denke. An die Umstände wie alles passiert ist und was für Auswirkungen die Zeit auf mich hatte. Was es mit mir angestellt hat. Und wie mich das alles verändert hat. »Meine Eltern haben sich getrennt. Dad ist umgezogen und nahm meinen Bruder, Lenny, mit. Er geht jetzt aufs Collage und ich war das Jahr drüben, um den beiden Nahe zu sein. Die Zeit mit meinem Bruder zu Hause ist nun vorbei.« Das ist die leichte Version. Tyler muss nicht erfahren, warum ich wirklich weg musste. Wieso mich dieser Ort vollkommen zerstört hätte, wenn ich nicht für eine Zeit lang die Flucht ergriffen hätte.

»Wie alt ist dein Bruder?«, fragt er und wirkt wirklich interessiert. Ich habe nicht das Gefühl, er würde mir etwas vorspielen. Aber es ist Tyler, der hier neben mir sitzt. Er könnte mir genauso gut etwas vorspielen.

»Neunzehn. Er studiert an der NYU.«

»Habt ihr ein gutes Verhältnis zueinander?« Ich presse die Zähne aufeinander und zerlege seine Frage in meinem Kopf. Haben Lenny und ich ein gutes Verhältnis zueinander? Ehrlich gesagt, weiß ich es gar nicht.

»Keine Ahnung. Wir stehen uns Nahe, ja. Aber wir kommen auch gut ohne einander aus.« Achselzuckend fummle ich an dem Stoff meiner Hose herum, um mich irgendwie zu beschäftigen.

»Ich habe auch einen Bruder«, gesteht er plötzlich und ich höre ein Schmunzeln in seiner Stimme. Ich kann nicht anders, als meinen Kopf langsam in seine Richtung zu drehen. Er hält den Kopf gesenkt und spielt an seinen Fingern herum. Ich achte auf seine Lippen, ich sehe ihm an, dass er versucht ein Grinsen zu unterdrücken. Es berührt wirklich mein Herz ihn so zu sehen.

»Und wie alt ist er?«

»Sechs Jahre.« Endlich durchbricht das Grinsen seine Lippen, doch er wendet sich ab. Wie von selbst findet meine Hand ihren Platz an seiner Wange, um sein Gesicht zu mir zu drehen. Er zuckt kaum merklich zusammen, ich bin ebenfalls schockiert. Seine Haut fühlt sich rau unter meinen Fingerspitzen an, aber so warm. Ein Kloß macht sich in meinem Hals breit, meine Finger fangen an zu zittern.

»Hör auf deine Emotionen zu verstecken, Tyler«, sage ich atemlos und ringe nach Luft. »Du machst das so oft.« Seine Augen treffen auf meine, ich ziehe scharf die Luft ein und lasse meine Finger sinken. Er schaut mich eindringlich an und sieht nicht weg. Er schaut mir mitten in die Seele, mitten ins Herz. Mein Puls verdreifacht sich, das laute Klopfen schmerzt beinahe. Schweiß bricht auf meiner Stirn aus, je länger er mich anschaut, desto intensiver fühle ich alle Emotionen gleichzeitig.

Tyler greift nach meiner Hand, behutsam und sanft. Er legt sie sich zurück auf die Wange, an den Platz, von der ich sie weggenommen habe. Ich schlucke, als ich zierlich über seine Haut streiche. Sein Gesicht spannt sich an, genau wie sein restlicher Körper. Ich spüre es. In seinen Augen sehe ich so viel auf einmal. Schmerz, den er in sich hinein frisst. Freude, die er zu verbergen versucht. Alles, was ich noch nie an ihm sah. Ich kann nicht anders, als ihm auf die Lippen zu schauen. Nur ganz kurz, aber Lust steigt in meinem Körper hoch. Sie haben die perfekt Form, sie wirken geradezu einladend.

A sweet taste of loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt